Die Gesellschaft bildet den Porno. Aber es geht auch umgekehrt!

Was feministische Pornos können

Ihr habt gerade zweimal „Porno“ gelesen und wahrscheinlich direkt an schwarz-pink blinkende Websites gedacht, wo ihr aus Kategorien wie „Teen“, „Trans“ oder „Asian“, wählen könnt, irgendwo ploppt ein Chat auf und dann drei Websites von zwielichtigen Onlinecasinos oder Penisvergrößerungsmitteln. Pornos haben etwas Schmuddeliges, immer noch irgendwie Verbotenes. Es ist trotzdem „vollkommen normal, Pornos zu schauen. Frauen schauen auch Pornos!“ Als Teenager hat das mal ein Kumpel zu mir gesagt und daraufhin habe ich mir ab und zu welche angeschaut.

Heute kommt das Thema in Gesprächen mit meinen Freundinnen selten auf und wenn doch haben die Meisten eine offene Einstellung zu Mainstream-Pornografie. Forschungsarbeiten über den Konsum von Pornografie zeigen dagegen meist ein heterogenes Verhältnis zwischen Geschlechtern. Unter Männern beginnt der Konsum von Pornos früher, ist mehr gewollt und verbreitet sowie gesellschaftlich stärker akzeptiert (z.B. Martyniuk, & Dekker, 2018; Quandt & Vogelsang, 2018; Döring, 2020; Matthiesen, Martyniuk, und Dekker, 2011). Warum ist das so, wo doch alle Geschlechter sexuelle Lust empfinden? Gut erforscht ist diese Frage nicht wirklich. Ich will mehr wissen und nehme Kontakt zu Julia auf.

Die Pornos der „sugartowngirls“

Julia lebt mit ihrer Lebenspartnerin in London, dort haben die beiden die Produktionsfirma „sugartowngirls“ gegründet und drehen feministische Pornos. Julia arbeitet ausschließlich mit weiblichen Darstellerinnen und möchte durch ihre Arbeit insbesondere der LGBTQ+-Community eine Stimme geben. Der Fokus liegt dabei auf „Girl on Girl“ – Filmen, die sie aber nicht unbedingt als exklusiv für lesbische Frauen deklariert – sie möchte damit auch bisexuelle oder heterosexuelle Frauen ansprechen.

Feministische Pornos, auch oft bezeichnet als Ethische- oder Faire Pornos, kommen ohne Diskriminierung aus. Ohne Sexismus, Rassismus, Able-, Size- und alle weiteren Formen. Feministischer Porno bedeutet außerdem: faire Produktionsbedingungen. Eine angemessene Bezahlung, gründliche Gesundheitschecks und Verhütung sowie die stetige Versicherung von Lust und Einverständnis aller Beteiligten sowohl bei der Konzeption, dem Dreh, als auch bei der Nachbearbeitung.

Die Darstellerinnen für Julias Pornos drehen oft zum ersten Mal einen Porno, weil sie hinter der Sache stehen und das Unternehmen unterstützen wollen. Selten arbeitet sie mit Sexarbeiterinnen aus dem Mainstream, das gäbe es jedoch auch, sagt sie. Zuletzt habe sie beispielsweise mit einer Frau gedreht, die Escort-Service anbietet. Auch die bekannte Indie-Porno Produzentin Erika Lust, für deren Plattform auch Julia Pornos produziert, engagiert Darsteller:innen aus dem Mainstream. Ganz sicher sein, wie die Arbeit alternativer Pornoproduktionen abläuft, kann man dennoch nicht. Auch gegen die Firma von Erika Lust gab es bereits einen Missbrauchsvorwurf. Auf Mainstreamplattformen ist dies jedoch Standard. Redakteur:innen von Vice haben mehrere Wochen als Löscharbeiter:innen für die Plattform xHamster gearbeitet und berichten auf ihrem IGTV-Kanal über die Verbreitung von Vergewaltigungsvideos und mangelndem Schutz von Minderjährigen Darsteller:innen.

Eine Dramaturgie um die männliche Erektion

Feministische Pornografie ist eine Nische in der Branche und erreicht längst nicht jeden. Dazu kommt, dass entsprechende Pornos im Gegensatz zur Mainstream Pornografie meist hinter Paywalls sind, was natürlich insbesondere für junge Menschen eine Hürde darstellt. Qualität kostet eben – das gilt auch für Pornos.

Das gesamtgesellschaftliche Umdenken hin zu mehr Nachhaltigkeit und Entschleunigung, sowie Debatten wie zum „MeToo“ und „Body Positivity“ sind jedoch ein Antrieb für mehr feministische Pornoproduktion. Auch im Mainstream-Porno kommt davon etwas an – so entstand zum Beispiel der Amateur-Porno. Dennoch sind diese Bewegungen noch mehr sozial als industriell. Das Bewusstsein für Diskriminierung in der Bevölkerung wächst, der Großteil pornografischer Inhalte und Websites ist jedoch immer noch absolut problematisch. Durch die für den Mainstream-Porno charakteristischen Kategorien wird all das fetischisiert, was nicht in ein stereotypisches Geschlechterbild passt. Dabei bildet meistens die Lust des heterosexuellen Mannes das Zentrum des Geschehens. Viele Filme werden aus seinem Blickwinkel gedreht und enden mit seiner Ejakulation. Auch lesbische Pornos werden für heterosexuelle Männer produziert und haben meist wenig mit der Realität zu tun. Eine Dramaturgie kreiert um die Erektion des Mannes also – das kann auch für Männer ziemlich Druck aufbauen. Ein Kumpel hat mir letztens erzählt, er nehme manchmal das Medikament „Tadalafil“ vor Tinderdates, um seine Erektion länger aufrechtzuerhalten. Er ist 27 und vollkommen gesund. Er erzählt mir auch, dass er öfter Girl-on-Girl Pornos geschaut hat, weil ihn andere Pornos gestresst haben. Auch Statistiken bekannter Pornoplattformen sowie Julia bestätigen, dass Girl-on-Girl-Pornos unter Männern wie Frauen sehr beliebt sind.

Über die Verbindung von Porno, Kunst und Bildung

Julias Filme sind insbesondere für ihren künstlerischen Stil, die Ästhetik und die Musik bekannt. „Gerade in der Kunst wird bei Inhalten mit viel Nacktheit diskutiert – ist das noch Kunst, oder schon Pornografie? Für mich ist diese Trennlinie eigentlich weniger interessant, für mich ist eher die Trennung wichtig von einer objektifizierenden und gesunden bzw. authentischen Darstellung von Sexualität“ sagt Julia.

Und warum glaubst du gibt es diese Trennung?

„Das hat auch viel damit zu tun, welchen Umgang wir mit dem Thema Sexualität führen, sowohl im Gesellschaftlichen als auch mit uns selbst. Das Thema Sex in extremen Ausdrucksformen wie Pornografie ist extrem mit Scham und Schuld behaftet. Das steht in starkem Kontrast dazu, wie hypersexualisiert wir als Gesellschaft sind, zum Beispiel was Entertainment und Werbung angeht. “

Da ist was dran. Als Gründe der Nicht-Nutzung von Pornografie werden von weiblichen Befragten zum Beispiel „unangenehme Gefühle“ wie Ekel und Scham genannt (z.B. Vogelsang, 2017). Die Entstehung von Scham ist jedoch nicht biologisch, sondern durch soziale Situationen erklärbar. Wann Scham empfunden wird ist individuell unterschiedlich, variiert über Kultur- und Gesellschaftskreise und festigt das Leben innerhalb der jeweiligen Normvorstellungen.

Ich persönlich kann mich nicht erinnern, in meiner Schulzeit sorgfältig über Pornografie aufgeklärt worden zu sein. Vor dem Hintergrund, dass Pornografie einen Großteil des Internetvolumens ausmacht (etwa 10 % der Top 50 Websites; Joos, 2017), bei einer wesentlichen Anzahl von Menschen zur regelmäßigen Masturbation gehört (Döring, 2019), meist ohne Altersverifizierung schnell auffindbar und abrufbar ist, sowie diskriminierende Darstellungen enthält, ist das auf jeden Fall ein Problem. Studien weisen auch auf Zusammenhänge zwischen Pornokonsum und gezieltem sexuellen Verhalten hin (z.B. Herbenick et al., 2020). Aufklärungsseiten wie der Instagram-Account OIDAitssexism bestätigen diese Vermutung mit Beispielen aus der Praxis. In meiner Recherche stoße ich außerdem auf ein neues Video des Y-Kollektivs über Taschengeld-Treffen (TG’s) Dabei handelt es sich um von Minderjährigen gestellte Inserate bzw. Gesuche für Sex-Treffen, bei denen sie von Volljährigen bezahlt werden. Das Ganze läuft meist über herkömmliche Anzeigenportale ab. In der Dokumentation wird der von Prostitutions-Beratungsstellen vermutete Zusammenhang der TG’s und Porno-Kategorien wie „Teen“ etc. angesprochen.

Was also passieren könnte…

Um das klarzustellen: Das Genre „Porno“ an sich ist nicht das Problem, sondern vielmehr eine Chance Bereicherung für unser Sexleben. Das Problem liegt bei unserer immer noch sexistischen Gesellschaft, den unfairen industriellen Bedingungen und der mangelhaften Sex-Bildung. Es wäre cool, wenn man auch als Frau kopflos mit ein paar Klicks eine kostenfreie Pornoseite aufrufen könnte, ohne dabei in Kauf nehmen zu müssen, herablassende Inhalte zu sehen.

Eine Möglichkeit, feministische Pornos voranzubringen, sind staatliche Förderungen. In Schweden passiert dies bereits, dort werden feministische Pornos unterstützt und in die Bildung integriert. Darin liegt viel Potenzial, zum Beispiel können Pornos beim Finden und Entwickeln der eigenen sexuellen Identität hilfreich sein. Auch das Zeigen von größerer Vielfalt pornografischer Darstellungsformen könnte zum Abbau der Stigmatisierung sexueller Minderheiten sowie zur Validierung von deren Identität beitragen (Litsou, Byron, McKee & Ingham, 2020). Die Gesellschaft bildet den Porno. Aber es geht auch umgekehrt!

Hier eine Liste alternativer Porno-Angebote abseits der Mainstream-Branche:

bellesa

femtasy

fourchambers

xconfessions

aurore

Hier kannst du checken, ob ein Porno ethischen Grundsätzen folgt.

Die Gespräche mit Julia von „sugartowngirls“ und OIDAitssexism entstanden im Rahmen eines Projekts von MicroArts, wobei die kreative Ausarbeitung der Themen Prostitution und feministische Pornografie insbesondere in Bezug auf patriarchale Strukturen fokussiert wird.

Quellen:

Döring, N. (2020). Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und Sozialpsychologie.

Joos, R. (2017). Wie funktioniert der Pornografiemarkt im Internet?. Zeitschrift für Sexualforschung30(01), 58-73.)

Litsou, K., Byron, P., McKee, A., & Ingham, R. (2020). Learning from pornography: Results of a mixed methods systematic review. Sex Education, 1-17.

Martyniuk, U., & Dekker, A. (2018). Pornografienutzung von Erwachsenen in Deutschland. Zeitschrift für Sexualforschung31(03), 237-249.

Matthiesen, S., Martyniuk, U., & Dekker, A. (2011). What do girls do with porn?. Zeitschrift für Sexualforschung24(04), 326-352.

Quandt, T., & Vogelgesang, J. (2018). Jugend, Internet und Pornografie. In Kumulierte Evidenzen (pp. 91-118). Springer VS, Wiesbaden.

Vogelsang, V. (2017). Sexuelle Viktimisierung, Pornografie und Sexting im Jugendalter: Ausdifferenzierung einer sexualbezogenen Medienkompetenz (Vol. 37). Springer-Verlag

Gespräche mit Oidaitssexism & Sugartowngirls

Text: Katha von Sterni
Illustration: Maxi Hötzeldt | @urmetanell

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