Resilienz — eine Erfolgsgeschichte der Symptombekämpfung?

Resilienz erobert die gesellschaftliche Entwicklung im Sturm. Sie gilt als eine nicht
mehr wegzudenkende Fähigkeit in Anbetracht einer Zeit, die von Krisen und
Unsicherheit geprägt ist. Doch wo bleibt hier die Verantwortung für die Veränderung der
Ursachen, wenn wir von einer krisenbehafteten Umwelt ausgehen, an die wir uns
anpassen müssen?


Handreichungen, Artikel, Ratgeber, Förderprogramme in Schulen und Erwachsenenbildung:
Das Konzept der Resilienz, oftmals auch als psychische Widerstandskraft betitelt, dominiert
allgegenwärtig den gesellschaftlichen Diskurs. Es liegt nahe, dass wir in Anbetracht der
aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen immer resilienter und flexibler
werden sollten und Strategien im Umgang mit Unsicherheiten erlernen müssen, um den Alltag
weiterhin zu meistern. Resilienz scheint das Rezept zu sein, um Krisenzeiten nicht nur zu
überstehen, sondern auch noch gestärkt daraus hervorzugehen. Denn eines steht fest: Wenn
unsere Lebensgrundlage immer unsicherer wird, dann müssen wir immer resilienter werden —
eine ganz simple Ursache-Folge-Beziehung.
Doch lenken wir damit nicht von den eigentlichen Ursachen ab?

Der Resilienzbegriff wurde insbesondere von Emmy E. Werner-Jacobsen durch eine
veröffentlichte Längsschnittstudie im Jahr 1977 geprägt, in welcher sie unterschiedliche
Risikofaktoren bei Kindern und deren Einfluss auf die Entwicklung erforschte. Kurz
gesprochen wird Resilienz heute als zu erlernende Fähigkeit verstanden, wodurch es Individuen
gelingen kann, trotz Schicksalsschlägen und schwierigen Lebensumständen eine positive
Entwicklung zu durchlaufen. Die interdisziplinäre Forschung bis zum aktuellen Zeitpunkt zeigt,
dass Resilienz ein sehr komplexer Mechanismus ist, der durch zahlreiche individuelle
Schutzfaktoren ausgebildet und stetig trainiert werden kann.

Der Resilienzbegriff geht im Ursprung davon aus, dass Menschen mit Krisen, Unsicherheiten,
Schicksalsschlägen und widrigen Lebensumständen konfrontiert werden. Wenn Individuen
traumatischen Situationen ausgesetzt sind, reagiert das biologische System mit physischen und
psychischen Symptomen darauf, um auf das entstandene Ungleichgewicht hinzuweisen. Dies
hat der Menschheit bis heute das Überleben gesichert. Symptome sind also ein wichtiger
Richtungsweiser, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was einer ursächlichen
Veränderung zur Wiederherstellung des Gleichgewichts bedarf. Um an dieser Stelle zwei kurze
Beispiele zu geben: Wenn ein Arbeitsumfeld von Dauerstress durch mental fordernde Projekte,
zu wenig Mitarbeitende und enge Deadlines geprägt ist, kann dies zu physischen und
psychischen Folgen bei den Mitarbeitenden führen. Wenn ein Elternhaus durch Suchtkrankheit
und emotionale Abwesenheit der erziehungsberechtigten Personen dominiert wird, kann dies
beim Kind zur Ausbildung von physischen und psychischen Erkrankungen führen. Die
Symptome zeigen, dass natürliche menschliche Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind.

An dieser Stelle setzt die Resilienz an. Es soll die strategische Antwort auf den Umgang mit
krisenbehafteten Umständen darstellen und lenkt dabei die Verantwortung direkt auf das
betroffene Individuum. Ausgebildete Symptome auf widrige Lebensumstände sollen
bestmöglich eingedämmt werden. Die Resilienz zeigt sich an dieser Stelle als ein
Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Ursachen. Ein ursachenbezogener Ansatz würde
davon ausgehen, dass nicht die Mitarbeitenden anpassungsfähiger an die Belastungen werden,
sondern dass die Belastung minimiert wird. Nicht das Kind muss sich später mit ausgebildeten
Erkrankungen auseinandersetzen, sondern die Eltern werden ursächlich behandelt.

Es ist wichtig, beide Seiten zu betrachten. Auf der einen Seite ist davon auszugehen, dass
Menschen in ihrem Leben mit prekären Umständen und traumatischen Ereignissen konfrontiert
sein können, die nicht zu verhindern sind. Es ist deshalb wichtig, Antworten darauf zu finden,
was Menschen im Umgang mit Krisen schützt. Dadurch kann es gelingen, bereits präventiv
individuelle Schutzfaktoren zu stärken und Erkrankungen zu verhindern.
Um jedoch grundsätzlich einen gesellschaftlichen Richtungswandel herbeizuführen, ist es
ebenso von besonderer Bedeutung, das Augenmerk auf die Veränderung von Ursachen zu legen
und sich nicht an Umstände ideal anzupassen, die menschlichen Grundbedürfnissen
widerstreben.
Stark ansteigende Zahlen physischer und psychischer Erkrankungen sollten dabei vor allen
Dingen nicht einen Anstieg von Resilienzprogrammen zur Folge haben, sondern in erster Linie
Verantwortungsträger:innen alarmieren, Antworten auf die Ursachen zu finden.

Text: Helena Horn
Picture: Annabella B.

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