THE ELLA & SKUPPIN– was bewegt die jungen Musiker aus Chemnitz?

Beim Konzert von THE ELLA am Chemnitzer CSD im August sind Küsse, Umarmungen, bunte Fahnen, Make-Up-Glitzer und ein roter Rock auf der Bühne so natürlich und authentisch ineinander übergegangen, anders als man nach Boy-Band-Standard gewohnt ist. Besonders der kurze rote Rock von Schlagzeuger Gideon ist schon jetzt ein kleines Symbol der Band und hoffentlich auch für den Rock n‘ Roll der Zukunft. Mit ihrem Mut, ihrer Ehrlichkeit und ihrem Durst nach Ausdruck und Freiheit bewegt die Band bereits mühelos Menschen. Ich frage mich, was Gideon, Filip und Steven selbst bewegt und warum sie schon jetzt dort oben stehen und dabei so strahlen. Ein paar Wochen später treffe ich die Band an einem verregneten Tag im Garten vom Werk 32, den man sich ungefähr so vorstellen kann, wie ein Seerosen-Gemälde von Monet – nur zum Reinspringen. Es nieselt leise auf das Grün um uns herum und meine Notizen.

Filip

Filip, der Sänger und Gitarrist der Band, sieht genauso aus, wie beim CSD. Er trägt ein weinrotes, glänzend-samtiges Shirt und eine weiße Pflegerhose. Auf den ersten Blick wirkt er vorsichtig-neugierig und konzentriert, auf den zweiten ein bisschen romantisch und auf den dritten irgendwie in jeder Sekunde suchend und findend. Auf jeden Fall wirkt er nicht wie ein durchschnittlicher 18-Jähriger, der gerade Abi gemacht hat und bald aus Chemnitz nach Leipzig zieht. Filip schreibt die Songs der Band. Dabei geben ihm hauptsächlich negative Erfahrungen kreativen Antrieb. Wenn ein Song fertig ist, ist auch ein bestimmtes, meist persönliches und eher negatives Thema für ihn verarbeitet. Er beschreibt es ein bisschen wie Tagebuch-Schreiben. Filip ist meistens unterwegs und selten gern allein.

Gideon

Schlagzeuger Gideon trägt zwei unterschiedliche Socken in bunten Vans und ein Blumenkleid von seiner Schwester, was ebenfalls ziemlich samtig und glänzend ist. Er hat etwas Kämpferisches an sich und im Gespräch mit ihm bemerke ich seinen Drang nach Erneuerung, Befreiung, Rebellion und Herausforderung. Gideon ist laut Aussage von Filip „wirklich sehr, sehr, sehr schlau“ und laut eigener Aussage mehr pragmatisch als romantisch. Wenn er mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt mag er e, dabei heavy Musik zu hören. „Das gibt mir dann ein bisschen mehr das Gefühl, dass ich ernster und krasser drauf bin. Also wenn ich dann angemacht werde, zum Beispiel. Das passiert in letzter Zeit öfter und ich würde sagen, dass das das auch mit meiner Kleidung zusammenhängt.“

Steven

Steven spielt als Leihgitarrist in der Band, verfolgt aber hauptsächlich sein Solo-Projekt als SKUPPIN (mehr dazu am Ende des Textes). Seine Kleidung ist glaube ich ein bisschen zu groß und ein bisschen zu schwarz. Er lächelt immer leicht und hat etwas Literaturwissenschaftsstudentenartiges an sich. Er wirkt verträumt und in sich versunken. Zusammengefasst sind die drei um einiges schöner als ich und meine Freunde mit 18.

Seht ihr euch als Teil von LGBTQIA+, oder steht ihr einfach dahinter und unterstützt die Ziele der Community mit eurer Kunst?

Filip: „Als Teil von LGBTQIA+ würde ich mich selbst nicht sehen, aber auf jeden Fall bin ich ein starker Befürworter davon, für Männlichkeitsideale zu sensibilisieren, weil Männlichkeit eben nicht nur eine Sache beschreibt, sondern eben ganz viel.“

Gideon: „Durch den Beginn von Filip und meiner Freundschaft habe ich herausgefunden, dass ich bisexuell bin und war damals wahrscheinlich auch ein bisschen in Filip verliebt. Das hat sich damals dann schnell erledigt und ist zu einer tiefen Freundschaft geworden. Haha. Deswegen sehe ich mich auf jeden Fall als Teil der Community. In meinem Alltag bin ich da aber nicht aktivistisch unterwegs oder so – ich lebe einfach so wie ich leben möchte.“

Filip: „Der CSD war erst unser dritter Auftritt und wir erfinden uns gerade selbst in diesem ganzen Live-Ding, so wird aktuell jede Show ein bisschen anders. Dass wir uns zum Beispiel auf der Bühne am CSD geküsst haben, haben wir dort zum ersten Mal gemacht, es wird bestimmt aber auch bei den nächsten Shows passieren.“

Gideon: „Das war auch ein bisschen von dem Sänger der Band Yungblud inspiriert, der seinen Bassisten und Gitarristen auf der Bühne küsst.“

Inspiration ist ein großes Thema für die Band. Generell lassen sich die beiden von sehr vielen verschiedenen Künstler:innen inspirieren, auch zum Beispiel aus der bildenden Kunst. Filip malt und Gideon macht Streetart, Holz-und Linolschnitt und Siebdruck. Auch für die Band hat er schon mal eine kleine Merch-Kollektion entworfen.

Wie fühlt es sich an, schon beim dritten Konzert Fan-Fotos zu schießen und Autogramme zu geben?

Beide lachen.

Gideon: „Ja das fanden wir auch ziemlich lustig, also ich habe nicht damit gerechnet“

Filip: „Ich habe auch gar nicht damit gerechnet. Wir haben noch eine Zugabe gegeben, die wir bis dahin nur einmal im Proberaum gespielt hatten. Wir konnten nicht einschätzen, wie der Song ankommt und waren dadurch ohnehin schon sehr aufgeregt. Das waren sehr viele Gefühle auf einmal. Deshalb war es auf jeden Fall sehr überraschend, dass, als wir runterkamen, so viele Leute für Fotos und Autogramme dastanden. Das Ganze war eine interessante Erfahrung, mit der wir aber nicht gerechnet hatten.“

Gideon: „Es hat sich schon cool angefühlt, aber war zwischendurch auch komisch. Ein Mädchen hat zum Beispiel zu mir gesagt: ‚aaahh ich habe ihn angefasst‘ und ich habe mir gedacht: ‚nein, nein – ich bin ein normaler Mensch‘, haha. Nach dem Auftritt war meine Stimmung dann aber schnell um einiges schlechter. Da kam einiges zusammen, aber besonders ein Vorfall war der Grund dafür: Mir hat dort noch jemand auf den Arsch gehauen.“

Filip: „Das hat mich direkt richtig wütend gemacht. Der Vorfall ist vor dem Abbau passiert und wir haben direkt viel Support von Freundinnen und Freunden bekommen. Sexuelle Belästigung geht einfach gar nicht – und dann auch noch auf dem CSD. Die Security ist dann eingeschritten und der Täter – ein älterer weißer Mann – ist anschließend von allein gegangen.“

Gideon: „Als danach noch Leute kamen, um ein Foto zu machen oder für ein Autogramm habe ich die ganze Stimmung nicht mehr so gefühlt. Ich hatte aber auch ein paar sehr schöne Erlebnisse mit den Fans. Ein Mädchen hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie sich durch mich getraut hat, ihren Pullover auszuziehen, weil sie viele Narben am Oberkörper hat. Ein anderer Junge hat mir später auf Instagram geschrieben, dass er sich nun traut, einen Rock zu tragen und hat mir Fotos davon geschickt.“

Beide sind sich einig, dass es das ist, weshalb sie Musik machen – Menschen erreichen und ermutigen.

Warum seid ihr mit 18 eigentlich schon so erwachsen?

Gideon: „Diese Frage stelle ich mir tatsächlich auch. Ich weiß nicht genau, warum ich so drauf bin wie ich drauf bin. Tatsächlich ist es aber schon sehr lange so, dass ich das Gefühl habe mit älteren Menschen besser reden und connecten zu können. Gerade in der Schulzeit habe ich mich wirklich kaum gut verbunden mit Menschen in meinem Alter gefühlt. Das hat sich nicht wirklich verändert. Eventuell spielt es eine Rolle, dass ich ziemlich viel reflektiere.“

Filip: „Ja, Gideon ist auf jeden Fall ein richtiger Reflektierer. Bei mir ist das auch ähnlich – ich fand auch ältere Menschen irgendwie immer cooler. Die haben einfach schon das gemacht, was ich mal machen möchte. So können sie mir bei vielen Dingen weiterhelfen. Ich glaube generell lernen wir schnell neue Dinge, ohne uns anzupassen. Wir möchten sehr schnell voran kommen mit dem, was wir machen.“

Gideon: „Ich würde mich auch als sehr zielstrebig bezeichnen – als Mensch mit verschiedenen Ideen und Zielen im Kopf. Der Drang da so schnell wie möglich hinzukommen gründet bei mir zumindest darauf, dass ich in der Selbstverwirklichung und dem Ausleben meiner Kreativität und Identität Befriedigung erfahre, die ich brauche, um glücklich zu sein. Das sind die Dinge, die mich glücklich machen können, abgesehen von Gefühlen. Aber die sind eben komplizierter und schwieriger. Bei Selbstverwirklichung hat man es eben bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand. Aber auch da verstehe ich jetzt, dass man sich diese Freiheit auf eine Art auch erst mal verdienen muss.“

Beide erzählen mir, dass sie starken Rückhalt von ihren Eltern haben, die selbst kreativ-kulturell aktiv sind und die beiden was Vernetzung angeht sehr unterstützen. Finanziell wollen sie so schnell wie es geht unabhängig von ihrer Familie werden, all ihre Ersparnisse stecken sie in die Band.

Woher kommt eure Zielstrebigkeit und wo zieht es euch hin?

Gideon: „Bei mir ist es auf jeden Fall so, dass ich mich total nach Glücksgefühlen sehne. In den letzten Jahren ist es mir schwer gefallen glücklich zu sein. In der Abi-Zeit habe ich dann ein paar depressive Episoden durchlebt und auch nachdem ich das Abi abgebrochen hatte, hatte ich mit Depressionen zu kämpfen. Das hat mir nochmal verdeutlicht, dass ich die Dinge machen muss, die ich wirklich will, um glücklich zu sein. Und das ist eine Menge haha, das gibt mir viel Kraft und Motivation.“

Filip: „Ich habe auch das Gefühl, dass wir mit dem was wir machen, Menschen etwas bieten, mit dem sie sich selbst helfen können.“

Gideon: „Ich glaube wir können echt etwas erreichen, also das glaube ich wirklich. Ich glaube auch schon immer daran, ich habe daran noch nie gezweifelt.“

Und jetzt zum Smalltalk

Welche Songs spielt ihr am liebsten live?

Gideon: „my world is messed up“

Filip: „ashamed again“

Welche Songs habt ihr zuletzt gehört?

Gideon: Children of the dark

Filip: „Generell höre ich aber viel Dream Indie. Vor dem Interview haben wir von Yungblud ,Machine Gun‘ f**k the NRA‘ gehört, Steven sagt, er hat Hollywood von Liam gehört.“

Was ist für euch der schönste Ort in Chemnitz?

Filip & Gideon: „Das leerstehende Hochhaus beim Metropol verbindet uns beide und erinnert an die Zeit, wo wir viel zusammen auf der Straße waren.“

Und wie geht es jetzt weiter?

Am Samstag auf der Chemnitzer Musikmeile könnt ihr THE ELLA um 18.00 Uhr am Karl Marx Darm hören! Zwei Songs sind bereits auf YouTube und Spotify zu hören und bis Ende des Jahres werden weitere Lieder veröffentlicht. Anfang 2022 will die Band dann eine EP rauszuhauen, vieles hängt aber davon ab, wie schnell sie ein Label bekommt. Um Up to date zu bleiben könnt ihr der @theellamusic auf Instagram folgen und ihren Spotify– und YouTube Kanal abonnieren. Achso und das „A“ in „THE ELLA“ steht für „AFD ist scheiße“.

Mit Steven über sein Solo Projekt als SKUPPIN

Als ich Steven gemeinsam mit THE ELLA auf der Bühne gesehen habe ist mir vor allem aufgefallen, dass er die ganze Zeit gelächelt hat und einfach Spaß hatte. Im Anschluss an das Interview mit THE ELLA unterhalten wir uns noch ein bisschen über sein Soloprojekt als SKUPPIN. Am Freitag erschien sein nächster Song „Unerreichbar“ und am 29. Oktober seine erste EP „Neue Romantik“. Seinen persönlichen Stil beschreibt Steven als „düstere Romantik“. Die Songs sind gefühlsmäßig sehr vielfältig und erzählen oft von Erlebnissen und Emotionen, die aus dramatischen Beziehungen entstanden sind.

Steven: „Am Anfang, gerade als sehr junger Mensch, konnte ich nur Songs schreiben, wenn dazu auch ein akutes Gefühl oder Problem da war. Heute, wo ich ein bisschen älter (22) bin, greife ich mehr darauf zurück, was ich schon erlebt habe und versetze mich in Erlebnisse und Gefühlswelten hinein. Ich muss nicht mehr selbst alles erleben, um inspiriert zu sein, glaube ich zumindest, haha.“

Steven will in Zukunft auf jeden Fall auf der Bühne spielen und durch Deutschland touren. Dabei möchte er seinem Live-Konzept eine eigene Dynamik geben, die sich von den produzierten Songs unterscheidet. Es ist ihm wichtig, den Besuchern seiner Konzerte ein besonderes Erlebnis zu ermöglichen.

Steven: „Das Schlimmste wäre, wenn nach dem Konzert Menschen zu mir kommen und sagen, dass sie den Auftritt nicht gefühlt haben. Ich will da 100% geben und nicht von der Bühne gehen und das Gefühl haben, dass ich meine Songs nicht erzählen konnte. Ich möchte den Menschen mit meinen Songs auch eine Art Zuflucht aus der Realität bieten.“

Allein auf der Bühne zu stehen ist nicht geplant. Am liebsten möchte Steven eine Show gemeinsam mit Menschen gestalten, die ihm persönlich nahestehen und untereinander verbunden sind.

Steven: „Auf meinen Konzerten wird man nicht krass tanzen, ich stelle mir das so vor, dass sich die Menschen eher in die Arme fallen.“  

Text : Katha von Sterni

Bilder: uretrot & Falk Scheels

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