The Art of Mitbewohnen

Es ist neun Uhr dreiundzwanzig. Eine Uhrzeit, die mir als Vollblutstudentin nur aus Mythen und Erzählungen meiner Großeltern bekannt ist. Ich liege wach in meinem Bett und habe noch ein bisschen mit der verklatschten Müdigkeit zu tun, die einem anhaftet wie ein billiger Duschvorgang, wenn man sich die Nacht mit Blättchen, Tabak und etwas Zaubertee um die Ohren geschlagen hat. Ich setze mich auf, höre meinen Mitbewohner Kaffee machen, duschen – was man halt so macht, wenn man ein geisteskranker Motherfucker ist, dessen Tag stets um 7 Uhr beginnt. Ich lasse mich zurück ins Bett fallen und verfluche mich, mich auf diese Art des Wohnens eingelassen zu haben. Man wohnt mit Menschen zusammen, die einem völlig fremd sind, man hat sie vor dem Einzug maximal zwei bis dreimal gesehen und soll dann auf unbestimmte Zeit die eigenen Grenzen der eigenen Komfortzonen mit einem mit Nägeln besetzten Baseballschläger einreißen. Was für die meisten nach einer praktischen Möglichkeit klingt Geld zu sparen, ist für mich die Definition von Wahnsinn. Meine innere Freiheitskämpferin setzt jedes Mal zu einem Monolog à la „Braveheart“ an, sobald ich mich sozialer Interaktion in meinen eigenen vier Wänden aussetzen muss. Klar esse ich gerne ungefragt deine restlichen Nudeln weg, aber für einen stundenlangen Spieleabend bin ich einfach nicht gemacht. Nur eine Vermutung, aber vielleicht bin ich auch grundsätzlich nicht fürs Mitbewohnen geschaffen. Ich bin massenkompatibel, aber nicht 24/7. Und vor allem nicht Zuhause. Zu den schiefen Tönen meines Hassbewohners, der zu seiner billigen Scheißmucke unter der Dusche singt, schrecke ich aus meinem Tagtraum. Einer imaginären Welt, in der ich allein in meine rEinzimmerwohnung in Neukölln wohne, Kolumne für Kolumne schreibe und mit meinem Hund eine Hartz IV Version der Carry Bradshaw abgeben würde. Weg von Putzplänen, WG-Kassen und den ewigen Flecken von den an den Spiegel geflitschten Pickelinhalten meines Hassbewohners, die mir immer zu mit weicher Stimme ins Ohrsäuseln: DU BIST NIE ALLEIN! Egal, welchen Raum ich betrete, alles schreit: SIEH HIER! DU BIST NICHT ALLEIN! NIEMALS! (Und wehe, du wagst es dich an meinem Brot zubedienen). Ich rekapituliere, weshalb ich mich überhaupt auf diesen Hippiequatschvom kommunenartigen Zusammenwohnen und Teilen aller Räume mit schlichtweg Fremden eingelassen habe und stelle schnell fest, dass ich einfach kein Bonzenkind bin, das sich für 700 € kalt einen 20 qm Schuhkarton leisten kann. Natürlich könnte man sich auch im beschaulichen Spandau oder im weltoffenen Mahrzahn-Hellersdorfeine schnuckelige Wohnung suchen, aber das gehört sich für mich als zugezogener Azubi-Hipster nicht. Allein deshalb bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich den verschrobenen Angewohnheiten meines Mitbewohners anzupassen. Diese sind so widersprüchlich, dass sie einer Kunstausstellung gleichen. Draußen ausgedrückte Zigarettenstummel auf der Fensterbank, drinnen akribischer Reinlichkeit. Im Kühlschrank veganer Lebensstil, im Mülleimer die Reste des „Ausnahme-Döners“ von letzter Nacht. Nirvana-Shirts tragen, aber bei Kurt Cobain fragend schauen. Er ist ein lebendes „Expectation vs. Reality“-Meme. Ich hingegen bin die personifizierte Definition von Wahnsinn. Es herrscht immer Chaos. Sowohl äußerlich wie innerlich. Umso kurioser erscheint es mir, dass sich unsere Wege im Mitbewohnen kreuzten. Scheint es doch von außen keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten zu geben. Obwohl, in einem scheinen wir uns einig zu sein: Zaubertee. Den mag er zum Glück auch.

Text & Bild: Janna Meyer

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