Corona-Krisenfonds für Studierende: Gut oder bloß gut gemeint?

500 € – einfach so vom Staat geschenkt: dieser Utopie kommen Einige seit dem 16. Juni ein Stückchen näher. Seit diesem Tag ist es möglich, online einen Antrag auf eine „Überbrückungshilfe“ zu stellen. Adressiert werden Studierende, die durch die Corona-Pandemie beispielsweise ihren Job verloren und sich deshalb finanziell „in akuter Notlage“ befinden. Klingt erstmal super – unumstritten ist die ganze Sache jedoch nicht.

Seit heute Mittag, 12 Uhr ist die langersehnte, staatliche Finanzierungshilfe für das Studium endlich da. Und zwar unabhängig vom elterlichen Einkommen und ohne Rückzahlung – zumindest für die Monate Juni, Juli und August. Auf überbrückungshilfe-studierende.de kann der Antrag online eingereicht werden. 100 Millionen Euro stehen hierfür insgesamt zur Verfügung. Die tatsächliche Auszahlung wird „innerhalb der verfügbaren Mittel“ entschieden, was bedeutet: ob die Antragsteller*in das Geld ausbezahlt bekommt, ist nicht gewährleistet.

Alle Studierenden, die zum Zeitpunkt der Antragstellung an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule in Deutschland immatrikuliert und nicht beurlaubt sind, können von diesem Angebot Gebrauch machen. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Jetzt kommt das große ABER: es muss eine Notlage nachgewiesen werden. Das bedeutet: ab mehr als 500 € auf dem Konto gibt es nichts mehr und von einem Antrag sollte dann auch abgesehen werden. Als Nachweis müssen Kontoauszüge bis zum Zeitpunkt der letzten normalen Einnahme (also bis Februar/März) eingereicht werden, dazu u.a. eine Erklärung für das Ausbleiben von Einnahmen.

Die Überbrückungshilfe wird dann laut dem Deutschen Studentenwerk (DSW) folgendermaßen berechnet:

Kontostand Überbrückungshilfe
weniger als 100,00 € 500,00 €
zwischen 100,00 € und 199,99 €* 400,00 €
zwischen 200,00 € und 299,99 € 300,00 €
zwischen 300,00 € und 399,99 € 200,00 €
zwischen 400,00 € und 499,99 € 100,00 €

*die Nachkommastellen wurden nachträglich eingefügt, beim DSW steht noch 199,00; 299,00 usw.

Die Anträge können erst ab dem 25. Juni bearbeitet werden, mit der ersten Auszahlung ist demnach frühestens Anfang Juli zu rechnen. Die Bewilligung gilt einmalig; jeden Monat muss bis zum letzten Tag des jeweiligen Monats erneut eine Förderung beantragt werden. Die Zuschüsse sollen, wie ihr Name schon sagt, die Zeit überbrücken, bis die Studierenden wieder Zugriff auf ihre regulär gewohnte Einkommensquelle haben.

Finanzielle Not wegen Corona

Diese Maßnahme ist eine Reaktion der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) auf die scharfe Kritik seitens Studierendenverbänden und Politiker*innen. Ihr wird vorgeworfen, viel zu langsam und nicht hinreichend auf die Geldsorgen von Studierenden zu reagieren.

Wegen des Lockdowns fielen viele Nebenjobs, u.a. in der Gastronomie, weg, die für Studierende eine Existenzgrundlage darstellten; betroffene Eltern können wegen Kurzarbeit oder gar Kündigung ihre studierenden Kinder nicht mehr ausreichend finanziell unterstützen.

scharfe Kritik am KfW-Kredit

Seit Mai 2020 wird, nach einem Vorschlag Karliczeks, der KfW-Studienkredit als Corona-Hilfe für Studierende vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt. Bis März 2021 ist der Kredit zinsfrei. Seit dem 01.06. dürfen auch internationale Studierende den KfW-Studienkredit beantragen. Vorschläge der SPD oder der Grünen, das BAföG für Studierende zu öffnen, die bislang keine Leistungen beziehen konnten, wurden nicht gehört. Der Gewerkschafter Andreas Keller bezeichnete den KfW-Kredit gegenüber dem Spiegel als „im Ansatz völlig verfehlt“, der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) hält den Kredit für „zu wenig, zu engeschränkt, zu starr und ungerecht“. Nach dem zinsfreien Jahr winken nämlich hohe Zinsen im Wert von bis zu 3.500 €, die besonders für Studierende aus einkommensschwachen Familien auch nach dem Studium kaum zu stemmen sind. Der DSW-Generalsekretär meint, Studierende, die ihren Job verloren haben, wären mit dem Kredit doppelt bestraft, da diese hinterher noch mehr arbeiten müssten, um den Kredit abzubezahlen.

„an Dreistigkeit nicht zu überbieten“

Kein Wunder also, dass laut Amanda Steinmaus, Vorstand des fzs, die Überbrückungshilfe „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“ wäre. Sie würde den Studierenden in finanziellen Notsituationen nicht wirklich helfen – dafür sei der Topf zu klein, die Auszahlungen zu gering und die Anforderungen sowie der bürokratische Aufwand zu hoch. Die veranschlagten 100 Millionen Euro reichen hinten und vorne nicht, um finanzielle Engpässe bei geschätzt einer Million Studierenden auszugleichen. „Wenn 66.666 Studierende drei Monate lang 500 € erhalten, ist der Topf leer,“ gibt Jacob Bühler, ebenfalls Mitglied des fzs-Vorstands, in einer Pressemitteilung an.

Fraglich ist, wo die 900 Millionen Euro an Haushaltsmitteln hin sind, die letztes Jahr für BAföG zur Verfügung gestellt und nicht ausgegeben wurden. Eine Öffnung des BAföG mit diesen Mitteln wäre ein gerechterer und nachhaltigerer Ansatz gewesen, um krisengeschuldete Studienabbrüche zu vermeiden und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

Übrigens: für Studierende der TU Chemnitz gilt, dass die Förderhöchstdauer von BAföG trotz Nicht-Anrechnung des Sommersemesters 2020 gleich bleibt. Das bedeutet: dieses Semester zählt für das Studentenwerk Chemnitz-Zwickau als „normales“ Semester; die Förderhöchstdauer verschiebt sich durch die Rückstufung nicht. Nur bei „unvermeidbare[n] pandemiebedingte[n] Ausbildungsunterbrechungen“ mit „schwerwiegende[m] Grund im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG“ kann eine Weiterförderung beantragt werden.

bei der Bildung wurde wieder einmal gespart

Diese Bilanz ist, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass anscheinend Mittel zur Verfügung stehen, schade. Deutschland hinkt beim Thema Bildungsgerechtigkeit ohnehin stark hinterher; die besagten staatlichen Maßnahmen, die während der Corona-Pandemie als Überbrückungshilfen angeboten werden, zeigen, wie sehr gerade bei der Bildung gespart und eher symbolisch gehandelt wird. Im Ernstfall sind die Krisenfonds leider wenig hilfreich und können bestehende Ungleichheiten sogar vertiefen. Die Überbrückungshilfe ist klar besser als nichts und kann im Zweifelsfall eine kleine Abhilfe schaffen. Jedoch sollte sich die Bildungspolitik nicht auf ihren kleinen Geldtöpfen ausruhen und auf Kredite verweisen, die in keinem Fall eine echte und gerechte Studienförderung ersetzen können.

Am 20.06. ruft die fzs übrigens gemeinsam mit Studierendenvertretungen aus ganz Deutschland zu einer Demonstration für eine Milliarde Studi-Hilfe auf.

Text und Bild: Julia Jesser

Harte Zeiten für unsere Clubkultur

Wie die ausbleibenden Bässe unsere Szene bedrohen

Dass sich die Chemnitzer Szene schon vor dem Ausbruch des Coronavirus schwergetan hat, ist kein Geheimnis. Der Wunsch nach Spätis und einem musikalischen Veranstaltungsangebot, das nicht vorwiegend nur aus Indiepop-Bandauftritten besteht ist älter als so manch immatrikulierte*r Student*in. Der alte Hut, die ewige Chemnitzer Leier, es nervt. Ob nun das fehlende Angebot oder mangelnde Nachfrage schuld seien oder ob man es uns einfach nicht recht machen kann, darüber lässt sich streiten. Vielleicht ändert das übernächste Paula Irmschler Buch oder die nächste Kummer Kassette mit Trettmann Feature etwas, die Hoffnung soll man ja nie aufgeben.

Das Kommen und Gehen in der Chemnitzer Clublandschaft kennt auch das Künstler*innen-Kollektiv Reset, mit denen ich über die aktuelle Situation gesprochen habe. Wie viele sehen sie einen Grund für das Schließen vieler Clubs in der geringen Anzahl junger Menschen in Chemnitz. Doch sie sehen auch wie eine Szene immer facettenreicher wird und stetig wächst.

Viele Clubs, so das Kollektiv, finanzieren sich von Party zu Party und stecken viel Liebe und Eigeninitiative in ihre Projekte. Rücklagen oder Gewinne haben dabei keine Priorität. Die Auswirkungen des Coronavirus treffen die Szene daher besonders. „Es wäre einfach zu traurig, wenn Chemnitz durch dieses Tief wieder bei null anfangen müsste und verlieren würde, was sich so viele Leute in Kleinprojekten und im Kollektiv hart erarbeitet haben.“ Die Drohende Gefahr spüren alle Mitglieder des Kollektivs: Von festen und angehenden DJ‘s über Veranstaltungstechniker*innen bis hin zu Gestaltungs- und Dekorationskünstler*innen, denn viele beziehen ihr Einkommen hauptsächlich aus dieser Branche und sind von Kooperationen mit Clubs, sowie der Festival- und Open-Air-Saison abhängig. Für das Reset-Kollektiv zählt nun vor allem Solidarität und Zusammenhalt: „Chemnitz reagiert, es wird improvisiert und es wird im Kollektiv gehandelt.“ Der Schlüssel liegt dabei für die Künstler*innen in der Kommunikation, denn ohne diese gäbe es keine Kooperation und somit auch keine Gemeinschaft. Man ergreift alle Möglichkeiten, um der Kunst in dieser Zeit Raum zu geben und verlegt die Partys eben kurzerhand per Livestreams ins Wohnzimmer, wie bei Atomino TV oder Oberdeck meets Reset. Solidarität heißt für das Reset-Kollektiv aber auch Auflegen ohne Gage, wenn den Clubbetreiber*innen das zahlende Publikum fehlt. Man hält eben zusammen.

Auch das Transit kämpft gegen die Auswirkungen der Krise. Am Wochenende des Shutdowns wäre der 2. Geburtstag des Clubs mit 30 Künstler*innen gefeiert worden. Das transit-Team sieht die Krise jedoch auch von Seiten der Clubbesucher*innen: „Kulturell bieten Clubs einen Ort der Sozialisierung, hier werden Barrieren abgebaut und Freundschaften über Gemeinsamkeiten geknüpft. Durch das Kontaktverbot leiden also vor allem unsere Gäste.“ Damit freischaffende Künstler*innen die Krise überstehen können, wünscht man sich auch hier wirkungsvolle Unterstützung von Seiten der Politik. „Sachsen ist das einzige Bundesland, in dem es aktuell nur Kredite und keine Zuschüsse für solo-selbständig arbeitende Personen gibt. Wir hoffen, dass sich gerade hier zeitnah etwas tut. Es verlieren schon jetzt Künstler*Innen ihre Lebensgrundlage.“, erklärt Christian vom Transit. (Anm. d. Red.: Der sächsische Landtag hat mittlerweile Fördergelder in Höhe von zwei Millionen Euro bewilligt*) Um die Existenz des Clubs in den kommenden Monaten zu sichern wird man kreativ und setzt wie viele andere Chemnitzer Clubs auch auf die Unterstützung der Feiernden. Selbstgemachte Spendengegenleistungen wie Tabakbeutel, sowie ein Soli-Ticket, das die gesamte Chemnitzer Szene unterstützt sind Möglichkeiten unsere Szene am Leben zu halten.

Bereits vor der Corona Zeit sah man in den letzten Jahren einen Trend in der Kultur- und Feierszene, der vielen Nachtschwärmer*innen Sorgen bereitete. Clubs, Bars und andere Sammelbecken für Kreative und Kulturschaffende werden von ihrem rechtmäßigen Platz im Stadtbild verdrängt oder müssen schließen. Der Grund für die Schließung solcher Freiräume liegt manchmal in steigenden Mieten und profitorientierten Investoren, wie im Falle der Grießmühle in Berlin, manchmal aber auch einfach in Problemen mit Genehmigungen und Anwohner*innen wie bei der Coffee-Art-Bar hier in Chemnitz. Die Forderungen der Clubbetreiber*innen und Kulturschaffenden sind meist ähnlich: Die Politik muss agieren und aktiv zum Erhalt der Szene beitragen. Selbes gilt besonders jetzt in Zeiten einer Krise, denn der Erhalt dieser Freiräume, die selbstverständlich nicht immer in unsere gewinnorientierte kapitalistische Welt passen, ist mindestens so wichtig wie milliardenschwere Finanzspritzen für große Unternehmen. Wir brauchen die Szene, ganz besonders hier in Chemnitz, denn sie gehört genauso zum Kulturgut wie Museen und Theater. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Einsicht nicht zu spät kommt.

Hier könnt ihr die Chemnitzer Clublandschaft mit einem Soli-Ticket unterstützen:

*Quelle: https://www.mdr.de/sachsen/dresden/dresden-radebeul/corona-sonderprogramm-kuenstler-sachsen-100.html Stand 22.04.2020

Text: Jan Hilbert

Bild: pasevichbogdan | Pixabay

Die Party ist vorbei und das ist okay

Als ich Anfang Februar ziemlich nebenbei zum ersten Mal vom Coronavirus gehört habe, hätte ich – wie höchstwahrscheinlich niemand von uns – auch nur ansatzweise ahnen können, dass diese Epidemie, die “so weit weg” stattfindet, dermaßen Einfluss auf unser Leben nehmen wird. Bei all den Neuigkeiten zu der Krise, die uns täglich erreichen, bin ich bin ernsthaft schockiert darüber, wie in Deutschland damit umgegangen wird.

Hier auf Zypern, wo ich mich momentan im Auslandssemester befinde, ging alles sehr schnell: am 9. März wurden die ersten beiden Fälle bestätigt. Einer davon in Limassol, der Stadt, in der ich studiere, der andere ein behandelnder Arzt aus Nikosia. Am 10. März hat gleich das uniinterne Fitnessstudio dicht gemacht, ab dem 12. März die ganze Uni (hier läuft das Sommersemester von Januar bis Mai). Gefühlt gestern war ich noch in der Uni, heute finden die Seminare in Videokonferenzen daheim statt, Prüfungen und Projekte wurden umstrukturiert. Bis zum Ende des Semesters werde ich die Cyprus University of Technology nicht mehr betreten. Die Folgen der Corona-Epidemie haben schneller in unseren Alltag eingegriffen, als wir uns umsehen konnten. In der gleichen Woche am Samstag wollte eine Freundin ihren Geburtstag in ihrer Wohnung feiern. Am Dienstag saßen wir noch zusammen in einem Restaurant. Sie hat Coronabedingt für Samstag nur sehr wenige Leute eingeladen, und selbst diese wenigen Leute haben alle abgesagt, weil sie die öffentlichen Verkehrsmittel meiden wollten, inklusive mir. Eine Spanierin, die eingeladen war, schrieb im Facebook-Gruppenchat, dass ein Bekannter von ihr mit hohem Fieber aus Abu Dhabi nach Limassol zurückgekehrt ist, ob er Corona hat, war nicht klar, weil es im Krankenhaus in Limassol keinen Corona-Test gibt, dafür müsste er nach Nicosia fahren.

Jeder von uns könnte das Virus unbemerkt in sich tragen

Da wurde mir bewusst: es könnten hier bereits unzählige Leute herumlaufen, mit ihren Händen die Haltestangen in den Bussen umgreifen, mit ihren Fingern ihren Pin in Bankautomaten tippen, die Tomaten am Gemüsetand abtasten, die mit Corona infiziert sind, und es noch nicht wissen. Oder Kontaktpersonen von Leuten, die nicht getestet wurden, weil die Ausstattung der Arztpraxen selbst in einer für zypriotische Verhältnisse größeren Stadt wie Limassol einfach nicht ausreicht. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts hält für wahrscheinlich, dass ungefähr die Hälfte der Infektionen in Deutschland aufgedeckt werden können – was bedeutet, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten doppelt so hoch sein müsste wie die offizielle “Fallzahl”. Auf Zypern ist die Dunkelziffer wahrscheinlich noch um ein vielfaches höher.

Aber was mich wirklich geschockt hat, ist der deutsche Umgang mit der Epidemie. Am gleichen Tag, als ich eigentlich auf dem Geburtstag einer Freundin hätte sein sollen, schickten meine Eltern mir Bilder davon, wie sie in einem großen (leeren) Kaufhaus shoppen waren. Ich sah Stories mit “Coronapartys”, Menschen in Cafés und Menschen die durch Deutschland reisen und sich tätowieren lassen oder Freundinnen besuchen, als wäre nichts gewesen. Und zu diesem Zeitpunkt gab es bereits über 2000 Fälle in Deutschland und circa 20 auf Zypern. Am Montag wurde Zypern quasi lahmgelegt, alle öffentlichen Freizeiteinrichtungen, touristischen Sehenswürdigkeiten, Hotels, Cafés und Restaurants geschlossen. Seit Sonntag dürfen keine Leute mehr ohne triftigen Grund einreisen. Wir gehen seit letzten Donnerstag noch zum einkaufen raus, oder zum frische Luft schnappen. Mein Instagram ist geflutet mit #stayhome und #selfisolation-Posts. Ich habe meine Freunde, die teilweise bereits abgreist sind, seit einer Woche nicht mehr gesehen.

Deutschland und seine Einwohner*innen reagieren viel zu langsam

 Währenddessen vervielfachen sich die aufgedeckten Fälle in Deutschland täglich, doch erst seit wenigen Tagen fangen fangen die Cafés und Restaurants an, dichtzumachen. Die TU-Mensa hat erst am 18. März (!) ihren Betrieb eingestellt, als bereits 16 Fälle allein in Chemnitz offiziell bekannt waren. In meiner Zeit in der Wohnung in Limassol wird mir im Kontakt mit Leuten in Deutschland zunehmend klar, dass dort eine andere Perspektive auf die Epidemie vorherrscht, vielleicht geschuldet durch die unterschiedlichen Filterblasen in denen wir leben. Weil sich hier der Alltag so schlagartig verändert hat, nehmen hier die Leute die Krankheit auch etwas ernster, so lautet meine Theorie. Weil hier das öffentliche Leben so abrupt lahmgelegt wurde und unsere Freund*innen, Besucher*innen und Tourist*innen plötzlich Probleme haben, heim zu fliegen oder überhaupt vom Fleck zu kommen, gehen uns die Ausmaße der Epidemie etwas mehr zuleibe. Da in Deutschland ja sowieso Semesterferien sind, und manche Cafés und Restaurants noch offen haben, geht da der Alltag ein bisschen lockerer voran. Außer dass ein paar Clubs zu gemacht und Konzerte abgesagt wurden und man seine Hausarbeit nicht mehr in der Bib schreiben kann, hat sich allen Anschein nach kaum was geändert. Vor allem bei den jüngeren Leuten, die nachweislich die Hauptträger des Viruses sind. Dabei bedeutet genau deswegen für uns Unifrei nicht gleich mehr Zeit zum shoppen gehen oder Freunde treffen, sondern schlicht und einfach: zuhause bleiben.

Leute, die noch unnötig rausgehen, verleugnen Fakten

Fast im Stundentakt checke ich die Entwicklung der Fälle in Deutschland und überlege ernsthaft, ob ich noch nach Hause kommen möchte. Wieso hat Deutschland, das so stark vom Virus betroffen ist, so verdammt langsam reagiert? Könnte es eventuell etwas damit zutun haben, dass hierzulande wirtschaftliches Wachstum allem Anschein nach wichtiger ist als das wohl der einzelnen Bürger? Fast stündlich ploppen Eilmeldungen auf meinem Handy auf. Man braucht nicht lange in den einschlägigen Nachrichtenportalen herumzubrowsen, es ist klar: alle müssen zusammenarbeiten, um die Ausbreitung des Virusses zu stoppen und tausende unnötige Tode zu vermeiden. Und jede*r einzelne kann sehr einfach dazu beitragen, in dem er/sie sich vom öffentlichen Leben und gesellschaftlichen Zusammenkünften fern hält.

Junge Menschen, die sich jetzt immernoch in Parks treffen und Hauspartys schmeißen, verleugnen wissenschaftliche Fakten genauso wie die von ihnen verpönten Klimawandelleugner und Flat-Earther. Sie sind kein Stück besser. Diese Menschen belasten für ihr eigenes, egoistisches Vergnügen das Gesundheitssystem und könnten im allerschlimmsten und nicht ganz unwahrscheinlichen Fall für den Tod einer geliebten Tante, Freund, Mutter oder Großvater mit verantwortlich sein.

Mein Erasmus-Semester ist vorzeitig vorbei, aber ich werde mich nicht beschweren. Es gibt so viele Menschen da draußen, denen es schlechter geht als mir, die ernsthaftes Leid von dieser Krise davontragen, die unter überlasteten Krankenhäusern leiden oder bei denen ein geliebtes Familienmitglied im Sterben liegt. Das mindeste, was da von der fitten und jungen Bevölkerung (aka. “iCh bIn KeInE rIsIkOgRuPpE” aka. “iSt DoCh NuR eInE eRkÄlTuNg”) zu erwarten ist, mal für ein paar Wochen alleine zuhause zu bleiben. Ist das echt zu viel verlangt?

Text: Julia Jesser

Illustration: Julia Küttner