Brückentagsexildeutsche

„Ich hoffe so sehr, dass wir reinkommen!“

– „Meinst du unsere Chancen stehen gut? Darauf freu’ ich mich schon so lange!“

„Die Schlange ist mega lang, aber lass mal trotzdem anstellen, wir kommen schon irgendwie rein.“

– „Das wird UNSERE Nacht“

Die Berliner Clubszene wird behandelt wie ein elitärer Club, dem man nur beitreten kann, wenn man nicht nur sein Erstgeborenes in die schützenden Hände des Türstehers gibt. Einer Szene, die sich vor allem durch Wochenendtouristen, Feiertagspendler und Brückentagsexildeutsche kennzeichnet, wird auf den Thron der vollkommenen Glückseligkeit gehoben. Gekrönt wird der überzogene Hype durch obengenannte Dialoge, die einem das Gefühl geben, man würde für etwas anderes anstehen, als die fünf bis zwölf Stunden Tanzwut für die man sich eben in einen Schuppen drängt, der viel zu laut, viel zu voll und vor allem mit komischen Leuten ausgestattet ist. Aber was macht man nicht alles um seine kurze Zeit der Jugend und Unvollkommenheit zu zelebrieren.

Das „Malle ist nur einmal im Jahr“ des noch viel kleineren Mannes findet hier seinen Höhepunkt. Statt sich wie die anderen Atzen in der prallen Sonne einer Mittelmeerinsel deiner Wahl volllaufen zu lassen, machst du es klüger. Du bleibst in Deutschland und folgst dem Puls der Zeit. Immer im Beat der Bassline in Richtung Club vor dem du unglücklicherweise deine gesamten Teen- und Twen-Kompanen direkt wieder begrüßen kannst. Wie es sich für die ultimative Berlin-Experience gehört, ist das Hostel direkt in Club-Nähe gebucht. Denn dieses Wochenende gehört dir. Du willst verrückt sein und deiner gewonnen Anonymität frönen. Dein Ziel: Einmal so feiern, wiees hier alle machen. Jeden Tag.

Mit viel Glitzer, gefakter Individualität und Konsum verschiedenster Substanzen wird die Persönlichkeit herausgekratzt, von der du selbst nicht mal wusstest, dass du sie in dir trägst. Aber nun gut, auch dir sei gegönnt deine 48 Stunden „Crazyness“ – wie die coolen Kids es nennen – zu leben. Spätestens dienstags geht der Zug zurück und mit ausgelutschten Phrasen à la „Was in Berlin passiert, bleibt in Berlin“ fährt dich der IC direkt zurück zu deinem/r Freund*in ins geliebte Eigenheim back to Boring-Town. Doch wenn man ehrlich ist, welche Stadt würde sich besser eignen, um in der Anonymität unterzugehen und die Party-Nacht für sich tanzen zu lassen? Mit offener Drogen- und Türpolitik sollte einem Sommernachtstraum doch nichts im Wege stehen.

Anders als in den Scheunendiskos deiner Stadt wird hier zum Drop nicht in den Moshpit gesprungen, laut gegrölt oder die nächste Runde Mexikaner geordert. Dein Publikum für heute Nacht ist durchzogen von Alltagsgeflüchteten aus den Dörfern deiner Gegend und den immerwährenden Stammgästen. Klar zu unterscheiden: Die einen labern dich in der Schlange voll und fragen dich wie ihre Chancen stehen hier „abgehen“ zu können, während die anderen vollkommen unbeeindruckt ihre 15 Minuten warten, bis man sich mit einem „Jo danke, bis später“ am Türsteher vorbeidrückt und sich für die Nacht verabschiedet.

Gehen wir einen Schritt weiter: endlich drin. Du hast es geschafft! Glückwunsch. Gut gemacht. Aber anders als du denkst, geht hier nicht die Party ab, von der du gehofft hattest, sie vorzufinden. Keiner klatscht, singt oder springt. Komisch. Die Bassdrum kickt dir so hart ins Zwerchfell, dass du in der Kombination mit der eindringlichen Lichtshow kurz glaubst, spontan Farben hören zu können. Aber das ist erst der Anfang, mein Schatz. Daran gewöhnt, kippt man sich die ersten fünf bis zehn alkoholische Getränke rein, während dir ein Blick zur Seite verrät, dass alle anderen nur Wasser trinken. Aber das soll dich heute Nacht nicht stören, du bist zum Feiern hier und wenn dir was Hübsches vor die Flinte läuft, geht da sicherlich noch was.

Und genau hier fängt es an für alle anderen ätzend zu werden. Was du nämlich nicht checkst ist, dass alle anderen hier für sich sein wollen. Körperkontakt und ständiges Angelaber unerwünscht. Die dörflichen Tricks des „Von-Hinten-Antanzens“ sind absolut unangebracht. Dies ist kein elitärer Club und auch nichts Besonderes, aber bitte um Gottes willen lass deine Griffel bei dir. Im Namen des Rausches und des guten Trips lass mich hier in Ruhe tanzen. Kleiner Tipp: siehst du jemanden nur einen Dance-Move machen, die Haare immer im Takt von links nach rechts schwenkend: Lass es. Denk nicht mal dran. Alle anderen, die scheinbar noch in der Kontrolle ihres Körpers sind, von mir aus, pack deine charmanten Tricks aus und versuch die Dame oder den Mann der Nacht für dich zu gewinnen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass du dich an den Code of Conduct hältst. Der gilt im Übrigen auch auf dem Land, wo man es mit Sexismus und Belästigung nicht so genau nimmt.

Was ich eigentlich sagen will: Ich freu mich, dass du es geschafft hast, dich aus den Zwängen deines Dorfes zu befreien und eine Seite an dir entdecken möchtest, an die du nicht geglaubt hast. Aber es gibt Regeln und die wichtigste ist: Fall nicht auf. Also: kein Pöbeln, kein Wettsaufen, kein ekliges Angetatsche.

Text & Bild: Janna Meyerdeiner Gegend und den immerwährenden Stammgästen. Klar zu unterscheiden: Die einen labern dich in der Schlange voll und fragen dich wie ihre Chancen stehen hier „abgehen“ zu können, während die anderen vollkommen unbeeindruckt ihre 15 Minuten warten, bis man sich mit einem „Jo danke, bis später“ am Türsteher vorbeidrückt und sich für die Nacht verabschiedet. Gehen wir einen Schritt weiter: endlich drin. Du hast es geschafft! Glückwunsch. Gut gemacht. Aber anders als du denkst, geht hier nicht die Party ab, von der du gehofft hattest, sie vorzufinden. Keiner klatscht, singt oder springt. Komisch. Die Bassdrum kickt dir so hart ins Zwerchfell, dass du in der Kombination mit der eindringlichen Lichtshow kurz glaubst, spontan Farben hören zu können. Aber das ist erst der Anfang,mein Schatz. Daran gewöhnt, kippt man sich die ersten fünf bis zehn alkoholische Getränke rein, während dir ein Blick zur Seite verrät, dass alle anderen nur Wasser trinken. Aber das soll dich heute Nacht nicht stören, du bist zum Feiern hier und wenn dir was Hübsches vor die Flinte läuft, geht da sicherlich noch was. Und genau hier fängt es an für alle anderen ätzend zu werden. Was du nämlich nicht checkst ist, dass alle anderen hier für sich sein wollen. Körperkontakt und ständiges Angelaber unerwünscht. Die dörflichen Tricks des „Von-Hinten-Antanzens“ sind absolut unangebracht. Dies ist kein elitärer Club und auch nichts Besonderes, aber bitte um Gottes willen lass deine Griffel bei dir. Im Namen des Rausches und des guten Trips lass mich hier in Ruhe tanzen. Kleiner Tipp: siehst du jemanden nur einen Dance-Move machen, die Haare immer im Takt von links nach rechts schwenkend: Lass es. Denk nicht mal dran. Alle anderen, die scheinbar noch in der Kontrolle ihres Körpers sind, von mir aus, pack deine charmanten Tricks aus und versuch die Dame oder den Mann der Nacht für dich zu gewinnen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass du dich an den Code of Conduct hältst. Der gilt im Übrigen auch auf dem Land, wo man es mit Sexismus und Belästigung nicht so genau nimmt. Was ich eigentlich sagen will: Ich freu mich, dass du es geschafft hast, dich aus den Zwängen deines Dorfes zu befreien und eine Seite an dir entdecken möchtest, an die du nicht geglaubt hast. Aber es gibt Regeln und die wichtigste ist: Fall nicht auf. Also: kein Pöbeln, kein Wettsaufen, kein ekliges Angetatsche.

Harte Zeiten für unsere Clubkultur

Wie die ausbleibenden Bässe unsere Szene bedrohen

Dass sich die Chemnitzer Szene schon vor dem Ausbruch des Coronavirus schwergetan hat, ist kein Geheimnis. Der Wunsch nach Spätis und einem musikalischen Veranstaltungsangebot, das nicht vorwiegend nur aus Indiepop-Bandauftritten besteht ist älter als so manch immatrikulierte*r Student*in. Der alte Hut, die ewige Chemnitzer Leier, es nervt. Ob nun das fehlende Angebot oder mangelnde Nachfrage schuld seien oder ob man es uns einfach nicht recht machen kann, darüber lässt sich streiten. Vielleicht ändert das übernächste Paula Irmschler Buch oder die nächste Kummer Kassette mit Trettmann Feature etwas, die Hoffnung soll man ja nie aufgeben.

Das Kommen und Gehen in der Chemnitzer Clublandschaft kennt auch das Künstler*innen-Kollektiv Reset, mit denen ich über die aktuelle Situation gesprochen habe. Wie viele sehen sie einen Grund für das Schließen vieler Clubs in der geringen Anzahl junger Menschen in Chemnitz. Doch sie sehen auch wie eine Szene immer facettenreicher wird und stetig wächst.

Viele Clubs, so das Kollektiv, finanzieren sich von Party zu Party und stecken viel Liebe und Eigeninitiative in ihre Projekte. Rücklagen oder Gewinne haben dabei keine Priorität. Die Auswirkungen des Coronavirus treffen die Szene daher besonders. „Es wäre einfach zu traurig, wenn Chemnitz durch dieses Tief wieder bei null anfangen müsste und verlieren würde, was sich so viele Leute in Kleinprojekten und im Kollektiv hart erarbeitet haben.“ Die Drohende Gefahr spüren alle Mitglieder des Kollektivs: Von festen und angehenden DJ‘s über Veranstaltungstechniker*innen bis hin zu Gestaltungs- und Dekorationskünstler*innen, denn viele beziehen ihr Einkommen hauptsächlich aus dieser Branche und sind von Kooperationen mit Clubs, sowie der Festival- und Open-Air-Saison abhängig. Für das Reset-Kollektiv zählt nun vor allem Solidarität und Zusammenhalt: „Chemnitz reagiert, es wird improvisiert und es wird im Kollektiv gehandelt.“ Der Schlüssel liegt dabei für die Künstler*innen in der Kommunikation, denn ohne diese gäbe es keine Kooperation und somit auch keine Gemeinschaft. Man ergreift alle Möglichkeiten, um der Kunst in dieser Zeit Raum zu geben und verlegt die Partys eben kurzerhand per Livestreams ins Wohnzimmer, wie bei Atomino TV oder Oberdeck meets Reset. Solidarität heißt für das Reset-Kollektiv aber auch Auflegen ohne Gage, wenn den Clubbetreiber*innen das zahlende Publikum fehlt. Man hält eben zusammen.

Auch das Transit kämpft gegen die Auswirkungen der Krise. Am Wochenende des Shutdowns wäre der 2. Geburtstag des Clubs mit 30 Künstler*innen gefeiert worden. Das transit-Team sieht die Krise jedoch auch von Seiten der Clubbesucher*innen: „Kulturell bieten Clubs einen Ort der Sozialisierung, hier werden Barrieren abgebaut und Freundschaften über Gemeinsamkeiten geknüpft. Durch das Kontaktverbot leiden also vor allem unsere Gäste.“ Damit freischaffende Künstler*innen die Krise überstehen können, wünscht man sich auch hier wirkungsvolle Unterstützung von Seiten der Politik. „Sachsen ist das einzige Bundesland, in dem es aktuell nur Kredite und keine Zuschüsse für solo-selbständig arbeitende Personen gibt. Wir hoffen, dass sich gerade hier zeitnah etwas tut. Es verlieren schon jetzt Künstler*Innen ihre Lebensgrundlage.“, erklärt Christian vom Transit. (Anm. d. Red.: Der sächsische Landtag hat mittlerweile Fördergelder in Höhe von zwei Millionen Euro bewilligt*) Um die Existenz des Clubs in den kommenden Monaten zu sichern wird man kreativ und setzt wie viele andere Chemnitzer Clubs auch auf die Unterstützung der Feiernden. Selbstgemachte Spendengegenleistungen wie Tabakbeutel, sowie ein Soli-Ticket, das die gesamte Chemnitzer Szene unterstützt sind Möglichkeiten unsere Szene am Leben zu halten.

Bereits vor der Corona Zeit sah man in den letzten Jahren einen Trend in der Kultur- und Feierszene, der vielen Nachtschwärmer*innen Sorgen bereitete. Clubs, Bars und andere Sammelbecken für Kreative und Kulturschaffende werden von ihrem rechtmäßigen Platz im Stadtbild verdrängt oder müssen schließen. Der Grund für die Schließung solcher Freiräume liegt manchmal in steigenden Mieten und profitorientierten Investoren, wie im Falle der Grießmühle in Berlin, manchmal aber auch einfach in Problemen mit Genehmigungen und Anwohner*innen wie bei der Coffee-Art-Bar hier in Chemnitz. Die Forderungen der Clubbetreiber*innen und Kulturschaffenden sind meist ähnlich: Die Politik muss agieren und aktiv zum Erhalt der Szene beitragen. Selbes gilt besonders jetzt in Zeiten einer Krise, denn der Erhalt dieser Freiräume, die selbstverständlich nicht immer in unsere gewinnorientierte kapitalistische Welt passen, ist mindestens so wichtig wie milliardenschwere Finanzspritzen für große Unternehmen. Wir brauchen die Szene, ganz besonders hier in Chemnitz, denn sie gehört genauso zum Kulturgut wie Museen und Theater. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Einsicht nicht zu spät kommt.

Hier könnt ihr die Chemnitzer Clublandschaft mit einem Soli-Ticket unterstützen:

*Quelle: https://www.mdr.de/sachsen/dresden/dresden-radebeul/corona-sonderprogramm-kuenstler-sachsen-100.html Stand 22.04.2020

Text: Jan Hilbert

Bild: pasevichbogdan | Pixabay