Zoom me up, Scotty

Die letzten Wochen des ersten reinen Online-Semesters brechen an. Und ich muss sagen: zum
Glück. 2020 schafft mich. Hatte ich doch nie ein Problem mit FOMO, der sogenannten „Fear Of
Missing Out“, bin ich 2020, dem einzigen Jahr, in dem die Welt still steht, vollkommen gestresst.
Ständig wandert mein Blick auf die sozialen Medien, in denen Jungs und Mädels teilen, wo sie
heute vor einem Jahr waren. Vor einem Jahr war mein Leben genauso wie es aktuell ist und
gestört hat es mich nicht. Nun muss ich mich für eine gewisse Zeit einschränken und siehe da, ich
drehe ab. Perfektes Timing. Da kam mir das Online-Semester sehr gelegen. Die romantische
Vorstellung die Quarantäne mit dem Schreiben von Hausarbeiten und Exposés zu verbringen, in
der Hoffnung, es würde mir schneller über die Zeit der Corona-Maßnahmen hinweghelfen, ist
rückblickend auch etwas naiv gewesen. Denn nun sitze ich hier und habe so viele Deadlines, dass
ich mich vor Abgabestress kaum noch retten kann. Und die Zeit vergeht auch nicht schneller.
Mich dünkt, ich habe einen schlechten Deal gemacht.
Der Tatsache geschuldet, dass ich die letzten Semester nicht viel in der Uni war, wollte ich dem
Ganzen ein Ende setzen und das digitale Semester nutzen, um die noch fehlenden Kurse vor dem
Bachelor aufzuholen. Was für ein Fehler. Denn das, was man sich an Fahrtzeiten zur Uni spart,
hole ich mir nun elegant durch doppelten Arbeitsaufwand für die aktive Teilnahme wieder rein.
Eine Präsentation hier, ein kurzer Essay dort und überall ständig diese kleinen schriftlichen
Antworten, die man zu jedem Text einreichen soll. Dafür, dass ich am Anfang noch so ambitioniert
war und stets jede freie Minute genutzt habe, um mich auf die Online-Kurse vorzubereiten, hat
mich meine Motivation doch recht schnell verlassen. Spätestens, als ich entdeckt habe, dass man
ja nicht mal wirklich aktiv anwesend sein muss, um an solchen Online-Kursen teilzunehmen,
schlich sich mein altbekanntes Prokrastinations-Muster wieder ein. Ein ausgeschaltetes Mikro in
Kombination mit einer deaktivierten Kamera stehen symbolisch für meine letzten drei Jahre an der
Uni. Wie war das noch? Ein gutes Pony springt nur so hoch, wie es muss? Nun, in diesem Fall bin
ich ein olympisches Pony.
Ich habe mir nie viel aus der Uni gemacht. War immer ein kleiner Hänger, der seine Zeit lieber fürs
Schreiben oder Schwärmen von einer Zeit nach dem Studium genutzt hat. Was passiert also,
wenn diese Einstellung auf ein Online-Semester trifft, dass zu 80 % auf ein Selbststudium
ausgelegt ist? Sagen wir so, Stand jetzt habe ich noch 90 Texte zu lesen, die ich theoretisch
schon die letzten Wochen hätte gelesen haben sollen und eventuell relevant wären, um mich gut
auf meine bevorstehenden Hausarbeiten vorzubereiten. Aber das soll nicht mein Problem sein.
Darum wird sich Zukunfts-Janna kümmern, wenn sie mit Tränen in den Augen vor den Scherben
des Semesters steht.
So sehr ich es auch feiere, dass ich mir die 50 Minuten Ring- und U-Bahn zur Uni sparen kann, so
sehr freue ich mich auch darüber, dass ich nächstes Semester nur noch den Endgegner
Bachelorarbeit bezwingen muss. Sollte die Zeit an der Uni doch die schönste Zeit des Lebens
sein, war sie für mich bisher im Prinzip auch nicht viel anders als die Zeit am örtlichen
Gymnasium. Der einzige Unterschied liegt darin, dass man halt mehr als dieselben 30 Pappnasen
sieht, denen man sich zu Schulzeiten aussetzen musste. Doch ich will nicht undankbar dem
Semester gegenüberstehen. Hat es mir doch geholfen, dass ich jetzt drei verschiedene Video-
Call-Programme auf meinem Rechner installiert habe und nun Experte darin bin, wie man per
Greenscreen-Funktion einen 5-Sekunden-Lacher generieren kann. Also Leute, in diesem Sinne:
Wir haben es bald geschafft und es kommen auch wieder Zeiten, in denen wir uns das Essen in
der Mensa schmecken lassen können. Bis dahin findet ihr mich online. Also: Zoom me up, Scotty!

Text und Bild: Janna Meyer

Die Party ist vorbei und das ist okay

Als ich Anfang Februar ziemlich nebenbei zum ersten Mal vom Coronavirus gehört habe, hätte ich – wie höchstwahrscheinlich niemand von uns – auch nur ansatzweise ahnen können, dass diese Epidemie, die “so weit weg” stattfindet, dermaßen Einfluss auf unser Leben nehmen wird. Bei all den Neuigkeiten zu der Krise, die uns täglich erreichen, bin ich bin ernsthaft schockiert darüber, wie in Deutschland damit umgegangen wird.

Hier auf Zypern, wo ich mich momentan im Auslandssemester befinde, ging alles sehr schnell: am 9. März wurden die ersten beiden Fälle bestätigt. Einer davon in Limassol, der Stadt, in der ich studiere, der andere ein behandelnder Arzt aus Nikosia. Am 10. März hat gleich das uniinterne Fitnessstudio dicht gemacht, ab dem 12. März die ganze Uni (hier läuft das Sommersemester von Januar bis Mai). Gefühlt gestern war ich noch in der Uni, heute finden die Seminare in Videokonferenzen daheim statt, Prüfungen und Projekte wurden umstrukturiert. Bis zum Ende des Semesters werde ich die Cyprus University of Technology nicht mehr betreten. Die Folgen der Corona-Epidemie haben schneller in unseren Alltag eingegriffen, als wir uns umsehen konnten. In der gleichen Woche am Samstag wollte eine Freundin ihren Geburtstag in ihrer Wohnung feiern. Am Dienstag saßen wir noch zusammen in einem Restaurant. Sie hat Coronabedingt für Samstag nur sehr wenige Leute eingeladen, und selbst diese wenigen Leute haben alle abgesagt, weil sie die öffentlichen Verkehrsmittel meiden wollten, inklusive mir. Eine Spanierin, die eingeladen war, schrieb im Facebook-Gruppenchat, dass ein Bekannter von ihr mit hohem Fieber aus Abu Dhabi nach Limassol zurückgekehrt ist, ob er Corona hat, war nicht klar, weil es im Krankenhaus in Limassol keinen Corona-Test gibt, dafür müsste er nach Nicosia fahren.

Jeder von uns könnte das Virus unbemerkt in sich tragen

Da wurde mir bewusst: es könnten hier bereits unzählige Leute herumlaufen, mit ihren Händen die Haltestangen in den Bussen umgreifen, mit ihren Fingern ihren Pin in Bankautomaten tippen, die Tomaten am Gemüsetand abtasten, die mit Corona infiziert sind, und es noch nicht wissen. Oder Kontaktpersonen von Leuten, die nicht getestet wurden, weil die Ausstattung der Arztpraxen selbst in einer für zypriotische Verhältnisse größeren Stadt wie Limassol einfach nicht ausreicht. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts hält für wahrscheinlich, dass ungefähr die Hälfte der Infektionen in Deutschland aufgedeckt werden können – was bedeutet, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten doppelt so hoch sein müsste wie die offizielle “Fallzahl”. Auf Zypern ist die Dunkelziffer wahrscheinlich noch um ein vielfaches höher.

Aber was mich wirklich geschockt hat, ist der deutsche Umgang mit der Epidemie. Am gleichen Tag, als ich eigentlich auf dem Geburtstag einer Freundin hätte sein sollen, schickten meine Eltern mir Bilder davon, wie sie in einem großen (leeren) Kaufhaus shoppen waren. Ich sah Stories mit “Coronapartys”, Menschen in Cafés und Menschen die durch Deutschland reisen und sich tätowieren lassen oder Freundinnen besuchen, als wäre nichts gewesen. Und zu diesem Zeitpunkt gab es bereits über 2000 Fälle in Deutschland und circa 20 auf Zypern. Am Montag wurde Zypern quasi lahmgelegt, alle öffentlichen Freizeiteinrichtungen, touristischen Sehenswürdigkeiten, Hotels, Cafés und Restaurants geschlossen. Seit Sonntag dürfen keine Leute mehr ohne triftigen Grund einreisen. Wir gehen seit letzten Donnerstag noch zum einkaufen raus, oder zum frische Luft schnappen. Mein Instagram ist geflutet mit #stayhome und #selfisolation-Posts. Ich habe meine Freunde, die teilweise bereits abgreist sind, seit einer Woche nicht mehr gesehen.

Deutschland und seine Einwohner*innen reagieren viel zu langsam

 Währenddessen vervielfachen sich die aufgedeckten Fälle in Deutschland täglich, doch erst seit wenigen Tagen fangen fangen die Cafés und Restaurants an, dichtzumachen. Die TU-Mensa hat erst am 18. März (!) ihren Betrieb eingestellt, als bereits 16 Fälle allein in Chemnitz offiziell bekannt waren. In meiner Zeit in der Wohnung in Limassol wird mir im Kontakt mit Leuten in Deutschland zunehmend klar, dass dort eine andere Perspektive auf die Epidemie vorherrscht, vielleicht geschuldet durch die unterschiedlichen Filterblasen in denen wir leben. Weil sich hier der Alltag so schlagartig verändert hat, nehmen hier die Leute die Krankheit auch etwas ernster, so lautet meine Theorie. Weil hier das öffentliche Leben so abrupt lahmgelegt wurde und unsere Freund*innen, Besucher*innen und Tourist*innen plötzlich Probleme haben, heim zu fliegen oder überhaupt vom Fleck zu kommen, gehen uns die Ausmaße der Epidemie etwas mehr zuleibe. Da in Deutschland ja sowieso Semesterferien sind, und manche Cafés und Restaurants noch offen haben, geht da der Alltag ein bisschen lockerer voran. Außer dass ein paar Clubs zu gemacht und Konzerte abgesagt wurden und man seine Hausarbeit nicht mehr in der Bib schreiben kann, hat sich allen Anschein nach kaum was geändert. Vor allem bei den jüngeren Leuten, die nachweislich die Hauptträger des Viruses sind. Dabei bedeutet genau deswegen für uns Unifrei nicht gleich mehr Zeit zum shoppen gehen oder Freunde treffen, sondern schlicht und einfach: zuhause bleiben.

Leute, die noch unnötig rausgehen, verleugnen Fakten

Fast im Stundentakt checke ich die Entwicklung der Fälle in Deutschland und überlege ernsthaft, ob ich noch nach Hause kommen möchte. Wieso hat Deutschland, das so stark vom Virus betroffen ist, so verdammt langsam reagiert? Könnte es eventuell etwas damit zutun haben, dass hierzulande wirtschaftliches Wachstum allem Anschein nach wichtiger ist als das wohl der einzelnen Bürger? Fast stündlich ploppen Eilmeldungen auf meinem Handy auf. Man braucht nicht lange in den einschlägigen Nachrichtenportalen herumzubrowsen, es ist klar: alle müssen zusammenarbeiten, um die Ausbreitung des Virusses zu stoppen und tausende unnötige Tode zu vermeiden. Und jede*r einzelne kann sehr einfach dazu beitragen, in dem er/sie sich vom öffentlichen Leben und gesellschaftlichen Zusammenkünften fern hält.

Junge Menschen, die sich jetzt immernoch in Parks treffen und Hauspartys schmeißen, verleugnen wissenschaftliche Fakten genauso wie die von ihnen verpönten Klimawandelleugner und Flat-Earther. Sie sind kein Stück besser. Diese Menschen belasten für ihr eigenes, egoistisches Vergnügen das Gesundheitssystem und könnten im allerschlimmsten und nicht ganz unwahrscheinlichen Fall für den Tod einer geliebten Tante, Freund, Mutter oder Großvater mit verantwortlich sein.

Mein Erasmus-Semester ist vorzeitig vorbei, aber ich werde mich nicht beschweren. Es gibt so viele Menschen da draußen, denen es schlechter geht als mir, die ernsthaftes Leid von dieser Krise davontragen, die unter überlasteten Krankenhäusern leiden oder bei denen ein geliebtes Familienmitglied im Sterben liegt. Das mindeste, was da von der fitten und jungen Bevölkerung (aka. “iCh bIn KeInE rIsIkOgRuPpE” aka. “iSt DoCh NuR eInE eRkÄlTuNg”) zu erwarten ist, mal für ein paar Wochen alleine zuhause zu bleiben. Ist das echt zu viel verlangt?

Text: Julia Jesser

Illustration: Julia Küttner