Es ist wieder so weit, es ist Movember.
Bitte was?!
Ja ganz richtig, Movember. Movember setzt sich aus den Worten moustache (engl. für Schnurrbart, umgangssprachlich „Mo“) und November zusammen und führt dazu, dass Männer weltweit sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Allerdings passiert das nicht aus Spaß oder weil Schnurrbärte so stylish sind, sondern um Aufmerksamkeit zu erregen. Denn der Movember ist nicht nur ein Monat voller Gesichtsbehaarung, sondern auch eine 2003 gegründete Foundation, die sich zum Ziel gesetzt, das Bewusstsein für männliche Gesundheit zu erhöhen und Themen wie psychische Gesundheit und Suizidprävention, Prostata- und Hodenkrebs zu enttabuisieren. Bereits über 1000 weltweite Projekte zur Männergesundheit wurden von der Movember Foundation unterstützt.
Wir sind doch alle Menschen mit Problemen, wieso brauchen wir einen extra Monat dafür?
Leider ist der Anspruch, den die Gesellschaft an die Männer hat, auch größtenteils noch recht altmodisch. Klassische Rollenbilder des Familienoberhaupts, des starken unabhängigen Mannes, der das Essen auf den Tisch bringt, der keine Schwäche oder sonstige Gefühle zeigt, haben einen tendenziell eher negativen Einfluss auf das männliche Selbstbild. Besonders, wenn dieses von dem „Idealbild“ abweicht. Dabei wird oft bereits in der Kindheit angefangen, Jungen toxische Grundgedanken in den Kopf zu setzen. Viel zu oft beobachtete ich, dass meinen Klassenkameraden, Freunden, oder Brüdern, falls diese beispielsweise weinten, mit „Hör auf damit. Du bist doch kein Mädchen, Jungs weinen nicht“ begegnet wurde. Jungen erlernen bereits im frühen Alter, dass es nicht erwünscht oder akzeptabel ist, Schwäche zu zeigen oder Gefühle zu äußern. Der Umgang mit eben jenen wird also alles andere als gesund. Während es gesellschaftlich eher anerkannt ist, wenn Frauen* ihre Gefühle nach außen tragen, darüber reden, oder weinen, sieht das für Männer ganz anders aus.
Allerdings haben Männer auch Gefühle. Männer sind verletzlich. Männer sind sensibel. Männer müssen gegen Stigmata ankämpfen, die ihnen den Weg zur Selbstverwirklichung eventuell versperren.
Wir haben euch deshalb nach Stigmata, Aussagen und Vorteilen gefragt, daraufhin einige Antworten erhalten und hier zusammengefasst:
– (Heterosexuelle) Männer sollen groß sein, auf jeden Fall größer als die Partnerin.
-Männer sollen möglichst trainiert sein, am liebsten ein Sixpack haben und bloß keinen Dad -Body.
-Männer, die keinen Alkohol mögen oder konsumieren, sind seltsam.
-Männer, die „Frauengetränke“ wie Cocktails trinken, aber kein Bier, sind seltsam.
– Männer, die sich für von der Gesellschaft als „Frauenthemen“ abgestempelte Dinge, wie z.B. Make-Up, Skincare, Mode oder Haarentfernung, interessieren oder dem sogar nachgehen, sind seltsam oder „unmännlich“.
– Männer, die Probleme damit haben, Menschen an sich heranzulassen und feste Beziehungen einzugehen, werden schnell als „Fuckboys“ abgestempelt.
Das sind nur ein paar Beispiele für Ansichten, mit denen Männer konfrontiert werden.
-An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Frauen* und Menschen, die sich als divers identifizieren natürlich auch mit zig Problemen, alten Rollenbildern oder Vorurteilen zu kämpfen haben. Allerdings sprengen diese den Rahmen dieses Artikels und werden gesondert thematisiert. –
Zurück zu den Männern: Warum sollten wir uns damit beschäftigen?
Männer sind verletzlich, aber oftmals haben sie das Gefühl oder ihnen wird das Gefühl vermittelt, dass sie das nicht sein dürfen. Sie reden nicht darüber, was sie bedrückt, machen mehr mit sich aus; sich professionelle Hilfe zu suchen, ist in den meisten Fällen undenkbar. Zwar sind Frauen häufiger von psychischen Krankheiten wie zum Beispiel Depression betroffen, allerdings wird hier auch stark debattiert, ob hier nicht ein Geschlechterbias vorliegt. Also ob die statistischen Ergebnisse nicht dadurch zustande kommen, dass Männer sich seltener in professionelle Hände von Ärzt*innen, Psycholog*innen, Psychiater*innen oder Psychotherapeut*innen begeben, weil sie Angst davor haben, belächelt oder nicht für voll genommen zu werden. Laut Statistischem Bundesamt sind die Suizidraten bei Männern sehr viel höher als bei Frauen*. Frauen* versuchen häufiger, Suizid zu begehen, allerdings gelingt es Männern öfter, ihrem Leben tatsächlich ein Ende zu setzen, da sie zu anderen Methoden greifen. Die Situation scheint für viele Männer so aussichtslos zu sein, dass eine Therapie gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Das Problem wird hier also am deutlichsten.
Woher will ich als Frau das wissen?
Gute Frage. Ausgezeichnete Frage. Natürlich kann ich als Frau nicht wissen, wie es sich anfühlt, ein Mann zu sein; Ich kann nur versuchen, meine Empathie zu benutzen und mich in euch, liebe Männer, hineinzuversetzen. Grundsätzlich sind Männer auch nur Menschen. Klingt verrückt, ist aber so. Alle Menschen haben Gefühle. Dank meiner Patchworkfamilie habe ich vier Brüder, ich habe viele männliche Freunde und ich war mit Männern zusammen. Ich habe Praktika in psychiatrischen Krankenhäusern absolviert. Kurzum: Ich habe viel mit vielen unterschiedlichen Männern allen Alters geredet, sie lachen gesehen, sie weinen gesehen, ihre Wünsche und Sehnsüchte in schwierigen Lebenslagen erlebt.
Die Männer, die sich mir gegenüber emotional geäußert haben, mussten sich überwinden, keine Frage. Es ist ihnen nicht leicht gefallen, aber das ist es für die Wenigsten. Allerdings hat das Reden über die Gefühle geholfen, den Schmerz zu lindern, den Druck abzulassen und auch zu sehen, dass es absolut nicht verwerflich ist, als Mann darüber zu reden, wo der Schuh gerade drückt.
Es ist okay, Gefühle zu haben.
Es ist okay, Gefühle zu äußern.
Es ist okay, Schwäche zu zeigen.
Es ist okay, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Es ist okay, nicht okay zu sein.
Sollen wir uns jetzt alle einen Schnurrbart wachsen lassen?
Wie Du willst, das kann Dir niemand vorschreiben.
Allerdings wäre es sinnvoll, wenn wir das ganze Jahr zur Entstigmatisierung und Enttabuisierung benutzen würden, wenn wir alle vielleicht ein bisschen an unseren festgefahrenen Perspektiven arbeiten und vor allem daran, keinen Menschen dafür verurteilen, was in ihm oder ihr gerade vorgeht.
Text: Ilka Reichelt
Bild: pixabay.com
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