Harte Zeiten für unsere Clubkultur

Wie die ausbleibenden Bässe unsere Szene bedrohen

Dass sich die Chemnitzer Szene schon vor dem Ausbruch des Coronavirus schwergetan hat, ist kein Geheimnis. Der Wunsch nach Spätis und einem musikalischen Veranstaltungsangebot, das nicht vorwiegend nur aus Indiepop-Bandauftritten besteht ist älter als so manch immatrikulierte*r Student*in. Der alte Hut, die ewige Chemnitzer Leier, es nervt. Ob nun das fehlende Angebot oder mangelnde Nachfrage schuld seien oder ob man es uns einfach nicht recht machen kann, darüber lässt sich streiten. Vielleicht ändert das übernächste Paula Irmschler Buch oder die nächste Kummer Kassette mit Trettmann Feature etwas, die Hoffnung soll man ja nie aufgeben.

Das Kommen und Gehen in der Chemnitzer Clublandschaft kennt auch das Künstler*innen-Kollektiv Reset, mit denen ich über die aktuelle Situation gesprochen habe. Wie viele sehen sie einen Grund für das Schließen vieler Clubs in der geringen Anzahl junger Menschen in Chemnitz. Doch sie sehen auch wie eine Szene immer facettenreicher wird und stetig wächst.

Viele Clubs, so das Kollektiv, finanzieren sich von Party zu Party und stecken viel Liebe und Eigeninitiative in ihre Projekte. Rücklagen oder Gewinne haben dabei keine Priorität. Die Auswirkungen des Coronavirus treffen die Szene daher besonders. „Es wäre einfach zu traurig, wenn Chemnitz durch dieses Tief wieder bei null anfangen müsste und verlieren würde, was sich so viele Leute in Kleinprojekten und im Kollektiv hart erarbeitet haben.“ Die Drohende Gefahr spüren alle Mitglieder des Kollektivs: Von festen und angehenden DJ‘s über Veranstaltungstechniker*innen bis hin zu Gestaltungs- und Dekorationskünstler*innen, denn viele beziehen ihr Einkommen hauptsächlich aus dieser Branche und sind von Kooperationen mit Clubs, sowie der Festival- und Open-Air-Saison abhängig. Für das Reset-Kollektiv zählt nun vor allem Solidarität und Zusammenhalt: „Chemnitz reagiert, es wird improvisiert und es wird im Kollektiv gehandelt.“ Der Schlüssel liegt dabei für die Künstler*innen in der Kommunikation, denn ohne diese gäbe es keine Kooperation und somit auch keine Gemeinschaft. Man ergreift alle Möglichkeiten, um der Kunst in dieser Zeit Raum zu geben und verlegt die Partys eben kurzerhand per Livestreams ins Wohnzimmer, wie bei Atomino TV oder Oberdeck meets Reset. Solidarität heißt für das Reset-Kollektiv aber auch Auflegen ohne Gage, wenn den Clubbetreiber*innen das zahlende Publikum fehlt. Man hält eben zusammen.

Auch das Transit kämpft gegen die Auswirkungen der Krise. Am Wochenende des Shutdowns wäre der 2. Geburtstag des Clubs mit 30 Künstler*innen gefeiert worden. Das transit-Team sieht die Krise jedoch auch von Seiten der Clubbesucher*innen: „Kulturell bieten Clubs einen Ort der Sozialisierung, hier werden Barrieren abgebaut und Freundschaften über Gemeinsamkeiten geknüpft. Durch das Kontaktverbot leiden also vor allem unsere Gäste.“ Damit freischaffende Künstler*innen die Krise überstehen können, wünscht man sich auch hier wirkungsvolle Unterstützung von Seiten der Politik. „Sachsen ist das einzige Bundesland, in dem es aktuell nur Kredite und keine Zuschüsse für solo-selbständig arbeitende Personen gibt. Wir hoffen, dass sich gerade hier zeitnah etwas tut. Es verlieren schon jetzt Künstler*Innen ihre Lebensgrundlage.“, erklärt Christian vom Transit. (Anm. d. Red.: Der sächsische Landtag hat mittlerweile Fördergelder in Höhe von zwei Millionen Euro bewilligt*) Um die Existenz des Clubs in den kommenden Monaten zu sichern wird man kreativ und setzt wie viele andere Chemnitzer Clubs auch auf die Unterstützung der Feiernden. Selbstgemachte Spendengegenleistungen wie Tabakbeutel, sowie ein Soli-Ticket, das die gesamte Chemnitzer Szene unterstützt sind Möglichkeiten unsere Szene am Leben zu halten.

Bereits vor der Corona Zeit sah man in den letzten Jahren einen Trend in der Kultur- und Feierszene, der vielen Nachtschwärmer*innen Sorgen bereitete. Clubs, Bars und andere Sammelbecken für Kreative und Kulturschaffende werden von ihrem rechtmäßigen Platz im Stadtbild verdrängt oder müssen schließen. Der Grund für die Schließung solcher Freiräume liegt manchmal in steigenden Mieten und profitorientierten Investoren, wie im Falle der Grießmühle in Berlin, manchmal aber auch einfach in Problemen mit Genehmigungen und Anwohner*innen wie bei der Coffee-Art-Bar hier in Chemnitz. Die Forderungen der Clubbetreiber*innen und Kulturschaffenden sind meist ähnlich: Die Politik muss agieren und aktiv zum Erhalt der Szene beitragen. Selbes gilt besonders jetzt in Zeiten einer Krise, denn der Erhalt dieser Freiräume, die selbstverständlich nicht immer in unsere gewinnorientierte kapitalistische Welt passen, ist mindestens so wichtig wie milliardenschwere Finanzspritzen für große Unternehmen. Wir brauchen die Szene, ganz besonders hier in Chemnitz, denn sie gehört genauso zum Kulturgut wie Museen und Theater. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Einsicht nicht zu spät kommt.

Hier könnt ihr die Chemnitzer Clublandschaft mit einem Soli-Ticket unterstützen:

*Quelle: https://www.mdr.de/sachsen/dresden/dresden-radebeul/corona-sonderprogramm-kuenstler-sachsen-100.html Stand 22.04.2020

Text: Jan Hilbert

Bild: pasevichbogdan | Pixabay

Braune Flecken auf der Uniform

Von Jan H. 

Foto: Farahim Gasimov (Pixabay)

Am neunten Oktober 2019 tötet ein rechtsextremer Terrorist in Halle am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur kaltblütig zwei Menschen mit einer teils am 3D-Drucker selbstgebauten Waffe. Sein eigentliches Ziel, der Sturm einer voll besetzten Synagoge, scheiterte nur an einer Sicherheitstür. Einen derartig harten Schlag hatte man von rechter Seite nicht erwartet. Der Aufschrei ist groß. Jetzt wird man wohl aufwachen. Seehofer reist an. „Bei unserer Geschichte darf so etwas in unserem Land nicht passieren“, heißt es vom Innenminister. Bedauern und Mitleid wird bekundet. Maßnahmen werden angekündigt. Jetzt ist die Gefahr jedem bewusst. Könnte man meinen.

Ein kurzer Blick auf die Aufarbeitung der warnenden Angriffe von rechts in der Vergangenheit lässt durchaus Zweifel hegen. Nicht nur wurde beim Thema Terrorismusbekämpfung die rechte Gewalt offensichtlich deutlich unterschätzt, auch der Umgang mit Rechtsextremismus innerhalb deutscher Behörden zeigt deutlichen Verbesserungsbedarf.

Beispielhaft hierfür ist die Chronologie der medialen Aufschreie um die sächsische Polizei. Bereits 2015 wurde bekannt, dass BeamtInnen die rechtsextremistische Terrorgruppe Freital vor Razzien gewarnt haben sollen. Zu einer Aufklärung kommt es nie, denn die Handys, mit denen die beschuldigten PolizistInnen Informationen über WhatsApp ausgetauscht haben sollen, sind verschwunden. Vor Gericht wird geschwiegen. Die Staatsanwaltschaft versäumt frühzeitig ein Verfahren einzuleiten, obwohl sie beim Verhör anwesend war, in dem der Neonazi Hilfe durch staatliche Mitarbeiter zugibt.

 Im Jahr 2017 wird der neue Polizeipanzerwagen „Suvivor R“ in Leipzig vorgestellt. Auf den Sitzen finden sich gestickte Wappen mit altdeutscher Schrift, die stark an die NS-Symbolik erinnern. Sie sind wohl ein altes internes Zeichen des Spezialeinsatzkommandos, welches sonst in keinem Markenhandbuch der Polizei zu finden ist, so ein Sprecher der Polizei. Nachdem der öffentliche Druck größer wird, weist man rechte Gesinnungen zurück und überdenkt die Symbolik. Eine gründliche Aufklärung bleibt auch hier aus.

Letztes Jahr trägt ein Polizist des SEK bei einer Demonstration gegen Rassismus in Wurzen einen Aufnäher an der Polizeiuniform, der den Raben Odins zeigt, ein Symbol der nordischen Mythologie welches auch im rechten Spektrum Bedeutung hat. Der Polizist wird bestraft, allerdings nur wegen des Verstoßes gegen die Polizeidienstkleidungsordnung. Im Statement heißt es, es gäbe bei dieser Person keinen Anlass über eine rechte Gesinnung nachzudenken. Auch die Art der Strafe wird nicht bekanntgegeben. Die Liste der bedenkenswerten Hinweise ist noch lang und dennoch bleibt der Wunsch nach gründlicher Aufarbeitung meist unerfüllt.

Auch die Bundeswehr schreibt negative Schlagzeilen. Schon 2017 gesteht die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ein „Haltungsproblem“ in den eigenen Reihen ein, nachdem der Vorwurf laut wird, es gäbe mehrere Fälle von rechtsextremen Schikanen und einem bekennenden Reichsbürger unter den SoldatInnen. Auf Nachfrage der Linksfraktion bestätigt die Bundeswehr aber im Jahr 2018, dass unter 270 gemeldeten Verdachtsfällen lediglich vier als extremistisch eingestuft worden seien. Auch gab es laut den Regierungsangaben Vorfälle mit Hitlergrüßen und „Sieg Heil“-Rufen, wobei einige der Beschuldigten ausschließlich mit Geldbußen belangt wurden. Das inkonsequente Vorgehen setzt sich auch hier trotz Besserungsversuchen fort.

Es gibt ja noch den Verfassungsschutz, mag man berechtigt einwerfen. Doch dass dieser der rechtsextremistischen Szene weit hinterher hinkt, zeigt der Fall Walter Lübke. Der mutmaßliche Mörder war den Behörden bereits bekannt, verhielt sich allerdings in fünf Jahren nicht weiter auffällig und konnte sich so 2015 vor Gericht das Recht auf einen Waffenschein erstreiten.

Trotz des Einsatzes von verdeckten Ermittlern tappt bei der Frage nach Netzwerken und Untergrundstrukturen, die Einzelpersonen solche Taten ermöglichen, hier sowie auch in Halle meist im Dunkeln. Es scheint so, als hätte man wenig aus den verhängnisvollen Fehlern bei der Aufklärung der NSU-Morde gelernt.

 

Medienwirksam werden Probleme in den eigenen Reihen kleingeredet und relativiert, und häufig ist die Rede von bedauerlichen Einzelfällen. Vielleicht ist der ein oder andere Regierungspolitiker auch mit klaren und konsequenten Statements gegen rechts vorsichtig geworden. Man möchte ja schließlich nicht noch mehr Stimmen an die AfD verlieren. Die Antworten auf die Frage nach Terrorismusbekämpfung klingen somit meist nach erweiterten Rechten für Polizei und sowieso mehr Überwachung. Sachsens Ministerpräsident fordert auf den Wahlplakaten eintausend neue PolizistInnen, an öffentlichen Plätzen in Chemnitz werden Kameras angebracht, ein umstrittenes Polizeigesetz wird beschlossen und Seehofer bringt sogar die eingestaubte Killerspieldebatte erneut ins Gespräch. Für die vielen Initiativen die sich in Chemnitz, Sachsen und ganz Deutschland gegen rechts engagieren wäre eine erweiterte staatliche Unterstützung ihrer Vereine wohl die sinnvollere Investition. Dass ein Konzert gegen rechts, wie „Wir sind mehr“ im Verfassungsschutzbericht landet zeigt aber, dass linken Bewegungen diese Unterstützung oft nicht zugesprochen werden. Denn das Problem der wachsenden rechten Radikalisierung lässt sich wohl kaum allein durch erhöhte Polizeipräsenz lösen. Vor allem an den Brennpunkten, an denen sich junge Menschen radikalisieren, ist Aufklärungs- und Präventionsarbeit von enormer Bedeutung, um dem erneut aufkommenden Faschismus Paroli zu bieten. Das umschließt aber auch die eigenen Strukturen offenzulegen und in Justiz, Militär, Verfassungsschutz und Polizei an den eigenen Schwächen zu arbeiten, anstatt rechtes Gedankengut in Staatsorganen als seltene Ausrutscher darzustellen. Denn das sind sie in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr. Auch wenn das der ein oder andere Politiker gerade in Bezug auf die Vergangenheit möglicherweise nicht sehen möchte.