Im Pride Month Juni sollte es eigentlich um den namensgebenden Stolz der Mitglieder der queeren Community gehen, die sich nicht (mehr) dafür schämen sollten zu sein, wer sie sind. Im Rahmen dieses Monats werden von der LGBTQ+ Gemeinde verschiedenste Veranstaltungen und Märsche durchgeführt; allgegenwärtig ist dabei die Regenbogenflagge. Sie ist zum Symbol einer Bewegung geworden, die sich wohl wie keine andere durch ihre inhärente Buntheit auszeichnet. Die Geschichte dieser Flagge ist allerdings schon wesentlich älter. Ursprünglich siebenfarbig wurde sie z.B. schon während den deutschen Bauernkriegen Anfang des 16. Jahrhunderts als Zeichen für Aufbruch, Veränderung und Frieden gehisst. In der Gay Pride Bewegung wurde sie, in Anzahl und Reihenfolge der Farben leicht abgewandelt, zum internationalen Zeichen für Homosexualität.
Während des Pride Month wird diese Flagge daher nicht nur von den Mitgliedern der Bewegung, sondern auch von Außenstehenden als Zeichen der Unterstützung und Solidarität hochgehalten. Auch große Konzerne, die z.B. durch ihre Reichweite auf Social Media Plattformen enormen internationalen Einfluss haben, beteiligen sich am Kampf für die Gleichberechtigung der queeren Community, indem sie einen Monat lang ihr Logo in Regenbogenfarben schmücken. Sie sind sich ihrer überregionalen Verantwortung bewusst und stehen aus tiefster, innerer Überzeugung für diese liberalen Werte ein.
Zumindest überall dort, wo sie ohnehin schon vertreten werden. Laut einer Statistik des Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 sind z.B in Deutschland 86% der Menschen der Meinung, dass Homosexualität in der Gesellschaft akzeptiert werden sollte. Ähnlich sieht es in den meisten anderen westeuropäischen Ländern aus. Genau in diesen Ländern sind Konzerne wie Mercedes, BMW, Cisco, Bayer, Bethesda und viele weitere auch an vorderster Front dabei, die Werte von Toleranz, Weltoffenheit usw. besonders während des Pride Month nach oben zu halten. Sieht die Stimmungslage aber anders aus, offenbart sich die mangelnde Integrität, der groß aufgeblasene Ballon der Wertegemeinschaft zerplatzt wie eine in bunten Regenbogenfarben schillernde Seifenblase. Die jeweiligen Ableger besagter Firmen in einem Land wie z.B. Russland, in dem sich die Akzeptanz von Homosexualität auf gerade einmal 14% bei 74% eindeutiger Ablehnung beläuft, haben ihre Logos nämlich nicht geändert.
Aber nun gut, die umsatzorientierten Interessen eines Konzern lassen sich nun einmal nicht immer mit liberalen Werten zusammenführen, die Unterstützung der Pride Bewegung in westlichen Ländern zeigt doch zumindest schon einmal, dass der Wille zur Unterstützung zumindest dort vorliegt, wo er auch Wurzeln schlagen könnte, oder?
War auch nur eine Suggestivfrage. In den meisten westeuropäischen Ländern (Deutschland ist hier die bemerkenswerte Ausnahme), sind z.B. Konversionstherapien nach wie vor legal, trotzdem sprechen sich Konzerne natürlich nicht öffentlich gegen solche Institutionen aus. Aber auch in Deutschland geht der Fortschritt in Richtung Gleichstellung queerer Personen in langsamen Schritten. 2017 wurde die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mehr trotz als durch die CDU legalisiert (übrigens am gleichen Tag wie das überaus umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dessen Erlass damals durch die Homo-Ehe vollkommen in den Hintergrund des gesellschaftlichen Diskurses geraten ist), was die Partei allerdings nicht davon abhält, sich seit der Durchsetzung mit dieser Errungenschaft zu brüsten. Und natürlich gibt es in den Reihen der Union auch einen Lesben- und Schwulenverband (LSU), der allerdings im Kontext zu den doch eher konsequenten Abstimmungsergebnissen gegen gleichstellende Maßnahmen eher wie eine Farce wirkt. Dass CDU und CSU bekanntermaßen auch noch die größten Empfänger von Parteispenden durch die gleichen Konzerne, die im Juni ihr Logo ändern, sind (Allein BMW und seine Eignerfamilie hat den Unionsparteien seit 2000 in Summe etwas mehr als 6,1 Millionen Euro gespendet1) vervollständigt ein ohnehin schon groteskes Bild.
Ist das besondere Interesse von Konzernen an der Gay Pride Bewegung also nur eine oberflächliche Marketingaktion, der Versuch, ein positiveres Image aufzubauen und darüber die eigenen Einnahmen zu maximieren?
Sexuelle Diversität als solche wird gesellschaftlich oft als linke Idee aufgefasst. Union und AfD sind bekannterweise keine Unterstützer der Bewegung und auch die FDP ist verhältnismäßig spät auf den Zug aufgesprungen (Sie haben z.B. 2012 noch gemeinsam mit der CDU den damaligen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Homo-Ehe vereitelt). Dieser Zusammenhang und der Anschein der Umwälzung eines uralten Bildes der Heteronormativität führt dazu, dass der LGBTQ+ Bewegung oft ein revolutionärer Charakter zugesprochen wird, der allerdings nicht so radikal ist, wie es den Anschein hat. Denn während klassisch linke Werte wie die Gleichheit aller Menschen im sozialen Kontext (die sich beispielsweise in einer erheblichen Erhöhung des Mindestlohns äußern könnten) auf erheblichen Gegenwind stoßen, funktioniert die Eingliederung solcher „Lifestylegleichstellungen“, wie eben die flächendeckende Akzeptanz von allen beliebigen Richtungen der LGBTQ+ Bewegung, in den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts erstaunlich gut. Sie sind keine unvereinbaren Widersprüche, im Gegenteil: Der Kapitalismus hat eine enorm anpassungsfähige Dynamik der Subjektivität entwickelt, in der jede Facette eines Menschen, jeder Teil seiner Ideologie, jede Überzeugung und jeder Glaubensgrundsatz vermarktet werden kann. Gesellschaftliche Erwartung traditioneller Werte wie Folgsamkeit gegenüber den Eltern, Strebsamkeit, Pflichtbewusstsein oder Staatstreue geraten in den Hintergrund und werden durch ein System ersetzt, das der Philosoph Slavoj Zizek als „Spirituellen Hedonismus“ bezeichnet. Statt höheren Zielen, für die der Mensch sich aufopfern soll, ist er stattdessen angehalten, in sich selbst hineinzusehen, das eigene Potential zu entdecken. Dieser Zustand interner Unbeständigkeit gibt dem Individuum die Möglichkeit, bestimmte Aspekte des Selbst für sich (wieder) zu entdecken, sich selbst in Kontrolle zu fühlen und aus der Befriedigung daraus in einen Zustand geistlosen Konsums zurückzukehren. Oder kurz und knapp ausgedrückt: Die Unterstützung der LGBTQ+ Bewegung durch Konzerne ist nichts anderes als die Message: „Keine Sorge, du bist selbstverständlich einer von uns. Also hör auf, dir Sorgen zu machen und konsumier.“
Dieser Kooptation in den Spätkapitalismus ist nicht nur die Gay Pride Bewegung zum Opfer gefallen, sondern auch jede andere strukturell Linke Idee. Feminismus, Umweltbewusstsein, Antirassismus und die Black Lives Matter Bewegung, sogar der Kommunismus höchstselbst (es gibt nichts groteskeres als Che Guevara Shirts, die man sich für 17 +3 € Versand auf Amazon kaufen kann) wurden kapitalisiert, kommodifiziert, kommerzialisiert.
Radikalerweise könnte man behaupten, dass jede Geschlechteridentität immer nur in Relation zu anderen Geschlechteridentitäten betrachtet werden kann, dass man die eigene Identität zwangsläufig auf diese Relation reduziert und sie daher inhärent sexistisch ist. Vielleicht wäre es daher in einem wirklich revolutionären Sinne, die LGBTQ+ Bewegung nicht allzu sehr von der Heteronormativität abzugrenzen und stattdessen eine Art Genderanarchismus zu propagieren, in dem es nicht mehr darauf ankommt, dass man der Gesellschaft auf möglichst überzeugende Art und Weise klarmacht, in welche Geschlechteridentität man von dieser gepresst werden möchte, sondern sich im Gegenteil völlig davon löst.
1 https://lobbypedia.de/wiki/Hauptseite, ein Projekt des Vereins LobbyControl e.V., der auf dieser Website eine Datenbank der Parteispenden angelegt hat
Text: Robert Freund
Grafik: Christian Döring
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