Die Party ist vorbei und das ist okay

Als ich Anfang Februar ziemlich nebenbei zum ersten Mal vom Coronavirus gehört habe, hätte ich – wie höchstwahrscheinlich niemand von uns – auch nur ansatzweise ahnen können, dass diese Epidemie, die “so weit weg” stattfindet, dermaßen Einfluss auf unser Leben nehmen wird. Bei all den Neuigkeiten zu der Krise, die uns täglich erreichen, bin ich bin ernsthaft schockiert darüber, wie in Deutschland damit umgegangen wird.

Hier auf Zypern, wo ich mich momentan im Auslandssemester befinde, ging alles sehr schnell: am 9. März wurden die ersten beiden Fälle bestätigt. Einer davon in Limassol, der Stadt, in der ich studiere, der andere ein behandelnder Arzt aus Nikosia. Am 10. März hat gleich das uniinterne Fitnessstudio dicht gemacht, ab dem 12. März die ganze Uni (hier läuft das Sommersemester von Januar bis Mai). Gefühlt gestern war ich noch in der Uni, heute finden die Seminare in Videokonferenzen daheim statt, Prüfungen und Projekte wurden umstrukturiert. Bis zum Ende des Semesters werde ich die Cyprus University of Technology nicht mehr betreten. Die Folgen der Corona-Epidemie haben schneller in unseren Alltag eingegriffen, als wir uns umsehen konnten. In der gleichen Woche am Samstag wollte eine Freundin ihren Geburtstag in ihrer Wohnung feiern. Am Dienstag saßen wir noch zusammen in einem Restaurant. Sie hat Coronabedingt für Samstag nur sehr wenige Leute eingeladen, und selbst diese wenigen Leute haben alle abgesagt, weil sie die öffentlichen Verkehrsmittel meiden wollten, inklusive mir. Eine Spanierin, die eingeladen war, schrieb im Facebook-Gruppenchat, dass ein Bekannter von ihr mit hohem Fieber aus Abu Dhabi nach Limassol zurückgekehrt ist, ob er Corona hat, war nicht klar, weil es im Krankenhaus in Limassol keinen Corona-Test gibt, dafür müsste er nach Nicosia fahren.

Jeder von uns könnte das Virus unbemerkt in sich tragen

Da wurde mir bewusst: es könnten hier bereits unzählige Leute herumlaufen, mit ihren Händen die Haltestangen in den Bussen umgreifen, mit ihren Fingern ihren Pin in Bankautomaten tippen, die Tomaten am Gemüsetand abtasten, die mit Corona infiziert sind, und es noch nicht wissen. Oder Kontaktpersonen von Leuten, die nicht getestet wurden, weil die Ausstattung der Arztpraxen selbst in einer für zypriotische Verhältnisse größeren Stadt wie Limassol einfach nicht ausreicht. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts hält für wahrscheinlich, dass ungefähr die Hälfte der Infektionen in Deutschland aufgedeckt werden können – was bedeutet, dass die Zahl der tatsächlich Infizierten doppelt so hoch sein müsste wie die offizielle “Fallzahl”. Auf Zypern ist die Dunkelziffer wahrscheinlich noch um ein vielfaches höher.

Aber was mich wirklich geschockt hat, ist der deutsche Umgang mit der Epidemie. Am gleichen Tag, als ich eigentlich auf dem Geburtstag einer Freundin hätte sein sollen, schickten meine Eltern mir Bilder davon, wie sie in einem großen (leeren) Kaufhaus shoppen waren. Ich sah Stories mit “Coronapartys”, Menschen in Cafés und Menschen die durch Deutschland reisen und sich tätowieren lassen oder Freundinnen besuchen, als wäre nichts gewesen. Und zu diesem Zeitpunkt gab es bereits über 2000 Fälle in Deutschland und circa 20 auf Zypern. Am Montag wurde Zypern quasi lahmgelegt, alle öffentlichen Freizeiteinrichtungen, touristischen Sehenswürdigkeiten, Hotels, Cafés und Restaurants geschlossen. Seit Sonntag dürfen keine Leute mehr ohne triftigen Grund einreisen. Wir gehen seit letzten Donnerstag noch zum einkaufen raus, oder zum frische Luft schnappen. Mein Instagram ist geflutet mit #stayhome und #selfisolation-Posts. Ich habe meine Freunde, die teilweise bereits abgreist sind, seit einer Woche nicht mehr gesehen.

Deutschland und seine Einwohner*innen reagieren viel zu langsam

 Währenddessen vervielfachen sich die aufgedeckten Fälle in Deutschland täglich, doch erst seit wenigen Tagen fangen fangen die Cafés und Restaurants an, dichtzumachen. Die TU-Mensa hat erst am 18. März (!) ihren Betrieb eingestellt, als bereits 16 Fälle allein in Chemnitz offiziell bekannt waren. In meiner Zeit in der Wohnung in Limassol wird mir im Kontakt mit Leuten in Deutschland zunehmend klar, dass dort eine andere Perspektive auf die Epidemie vorherrscht, vielleicht geschuldet durch die unterschiedlichen Filterblasen in denen wir leben. Weil sich hier der Alltag so schlagartig verändert hat, nehmen hier die Leute die Krankheit auch etwas ernster, so lautet meine Theorie. Weil hier das öffentliche Leben so abrupt lahmgelegt wurde und unsere Freund*innen, Besucher*innen und Tourist*innen plötzlich Probleme haben, heim zu fliegen oder überhaupt vom Fleck zu kommen, gehen uns die Ausmaße der Epidemie etwas mehr zuleibe. Da in Deutschland ja sowieso Semesterferien sind, und manche Cafés und Restaurants noch offen haben, geht da der Alltag ein bisschen lockerer voran. Außer dass ein paar Clubs zu gemacht und Konzerte abgesagt wurden und man seine Hausarbeit nicht mehr in der Bib schreiben kann, hat sich allen Anschein nach kaum was geändert. Vor allem bei den jüngeren Leuten, die nachweislich die Hauptträger des Viruses sind. Dabei bedeutet genau deswegen für uns Unifrei nicht gleich mehr Zeit zum shoppen gehen oder Freunde treffen, sondern schlicht und einfach: zuhause bleiben.

Leute, die noch unnötig rausgehen, verleugnen Fakten

Fast im Stundentakt checke ich die Entwicklung der Fälle in Deutschland und überlege ernsthaft, ob ich noch nach Hause kommen möchte. Wieso hat Deutschland, das so stark vom Virus betroffen ist, so verdammt langsam reagiert? Könnte es eventuell etwas damit zutun haben, dass hierzulande wirtschaftliches Wachstum allem Anschein nach wichtiger ist als das wohl der einzelnen Bürger? Fast stündlich ploppen Eilmeldungen auf meinem Handy auf. Man braucht nicht lange in den einschlägigen Nachrichtenportalen herumzubrowsen, es ist klar: alle müssen zusammenarbeiten, um die Ausbreitung des Virusses zu stoppen und tausende unnötige Tode zu vermeiden. Und jede*r einzelne kann sehr einfach dazu beitragen, in dem er/sie sich vom öffentlichen Leben und gesellschaftlichen Zusammenkünften fern hält.

Junge Menschen, die sich jetzt immernoch in Parks treffen und Hauspartys schmeißen, verleugnen wissenschaftliche Fakten genauso wie die von ihnen verpönten Klimawandelleugner und Flat-Earther. Sie sind kein Stück besser. Diese Menschen belasten für ihr eigenes, egoistisches Vergnügen das Gesundheitssystem und könnten im allerschlimmsten und nicht ganz unwahrscheinlichen Fall für den Tod einer geliebten Tante, Freund, Mutter oder Großvater mit verantwortlich sein.

Mein Erasmus-Semester ist vorzeitig vorbei, aber ich werde mich nicht beschweren. Es gibt so viele Menschen da draußen, denen es schlechter geht als mir, die ernsthaftes Leid von dieser Krise davontragen, die unter überlasteten Krankenhäusern leiden oder bei denen ein geliebtes Familienmitglied im Sterben liegt. Das mindeste, was da von der fitten und jungen Bevölkerung (aka. “iCh bIn KeInE rIsIkOgRuPpE” aka. “iSt DoCh NuR eInE eRkÄlTuNg”) zu erwarten ist, mal für ein paar Wochen alleine zuhause zu bleiben. Ist das echt zu viel verlangt?

Text: Julia Jesser

Illustration: Julia Küttner

Don’t be afraid to care! Wie du dich Rassismus entgegenstellen kannst.

Es gibt Rede- und Handlungsbedarf. Darüber, dass wir ein Rassismusproblem in unserer Gesellschaft haben. Darüber, dass jetzt jeder an der Reihe ist, seine eigenen Privilegien zu hinterfragen. Mit Hanau steht das ganze medial stark im Fokus, aber es muss mehr bleiben. Die Thematik ist klar, Diskriminierung jeder Art und Rassismus auf jeder Ebene bedeuten Opfer.

Wenn wir uns am Diskurs beteiligen wollen, müssen wir beginnen uns die simpelsten Fragen zu stellen und uns mit jeder einzeln auseinanderzusetzen. Apolitisch sein ist keine Option. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft und haben damit entsprechende Verpflichtungen nachzukommen. Jedes Schweigen ist ein Nein und das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen und für unsere Demokratie! Es bedeutet, dass es nicht so schlimm ist. Auch dagegen sein reicht nicht mehr, wir müssen das Problem strukturell angehen.

Wenn wir von einer weißen Mehrheitsgesellschaft sprechen, ist das kein Angriff! Es dürfen aber nicht die immer selben Menschen sein, die im Diskurs dazu laut werden. Keiner von ihnen steht in der Pflicht, auf Grund seiner Betroffenheit zu erklären. Schafft euch die Grundlagen zum zuhören und mitreden, verhandeln und diskutieren. Das bei einem so komplexen Thema der Einstieg schwerfallen kann, stellen wir nicht in Frage.

Rassismus ist nicht immer Vorsatz und nicht nur das grausame Verbrechen eines Individuums. Um Rassismus zu entlarven und aktiv eine Veränderung herbeizuführen, braucht es einem neuen Umgang mit der Thematik.

# Gesicht zeigen

In Situationen wie der in Hanau, ist zunächst nichts wichtiger als sich präsent zu zeigen und zu solidarisieren. Frag deine Mitmenschen wie es ihnen damit geht, ob sie etwas benötigen. Biete ihnen deine Hilfe an, zeige dich. Und wenn du glaubst das dir die richtigen Worte fehlen, reicht manchmal auch hinhören. Eva Schulz von Deutschland 3000 etwa, hat eine Karteikartenbox, in der sie Aussagen zu unterschiedlichen Themen sammelt. Auch das ist eine Möglichkeit an komplexere Themen heranzutreten.

# Bildet euch – eine Diskussionsgrundlage

Verbringt eure Zeit auf Social Media doch auch einmal auf anderen Accounts. Es gibt eine Vielzahl an Personen und Formaten, die privat und institutionell Aufklärungsarbeit gegen Rassismus leisten. Uns haben sie geholfen gewisse Themenpunkte besser zu verstehen oder auch mal die Perspektive zu wechseln. Beiträge liken ist toll, reicht aber nicht. Swiped auch mal nach oben und nehmt euch die Zeit für den ein oder anderen Beitrag der länger ist.

@a_aischa                                              @tupoka.o

@alice_haruko                                       @nowwhitesaviors

@wanalimar                                           @officialronny1

@helen_fares                                          @dariadaria

@duzentekkal                                         @aminatabelli

@amaniabuzahra                                   @salwa.benz

Für eine bessere Diskussionsgrundlage und mehr Hintergrundwissen empfehlen wir euch außerdem diese Bücher:

Hengameh Yaghoobifarah & Fatma Aydemir: Eure Heimat ist unserer Albtraum

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten

Theodor Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

Carolin Emcke: Gegen den Hass

Tuboka Ogette: Exit racism

Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiss der alltägliche Rassismus

Und damit wirklich keiner eine Ausrede hat, weil er lieber reinhören möchte. Auf Spotify findet ihr:

Weißabgleich – taz Podcast von Poc

DiversityFM – Der Podcast

Tupodcast

Kanackische Welle

# Sprecht es aus

Oft gibt es die Möglichkeit bei Podiumsdiskussionen vorbei zu schauen oder mit Menschen, die sich in der Materie bewegen ins Gespräch zu kommen.  Eine Workshopreihe, die sich konkret mit Rassismus auseinandersetzt, ist „Become an Ally“. Dieser Workshop ist für alle die selbst von Diskriminierung nicht betroffen sind, sich aber aktiv dagegen einsetzen wollen und nach Handlungsstrategien suchen. Infos zu den nächsten Veranstaltungen findet ihr auf der Seite der Rosa Luxemburg Stiftung.

Orte in Chemnitz, an denen öfters Vorträge und Diskussionen stattfinden sind unter anderem:

Club der Kulturen

Das Odradeck

AJZ

Subbotnik

Arthur e.v

Außerdem:
Sprecht mit euren Familien, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen. Selbst wenn nicht alles immer unbedingt eurer Meinung entspricht, regt es dazu an, andere Perspektiven zuzulassen und vielleicht neue Grundlagen zu finden.  

#4 Verändert was

Wenn ihr nun an dem Punkt angelangt seid, etwas verändern zu wollen und euch einzubringen, könnt ihr das z.B. hier tun:

Buntmacher*innen

Chemnitz Nazifrei

Horizont Magazin

Chemnitzer Jugendforum

Aufstehen gegen Rassismus

Habt keine Angst etwas „falsch“ zu machen. Wir haben tausendfach wiederholt, wie wir denken und reagieren und uns Routinen geschaffen. Wir sind darauf konditioniert uns sicher fühlen zu wollen und darin liegt vielleicht ein wenig die Herausforderung. Hinterfragt euer Normal, eure Reaktionen, eure Routinen.

Zu keinem Zeitpunkt und keinem Weltgeschehen, sollten wir aufhören uns Gedanken zu machen, zu hinterfragen und füreinander Da zu sein. #Wirsindmehr, wenn wir aufeinander zugehen können, ohne Missionierungsauftrag, ohne die eine Wahrheit, aber mit Empathie für den Anderen.

Text: Sibel & Svenja

Illustration: Julia Kütter