Leben in der Jogginghose

Der Welt-Jogginghosen-Tag bekommt in Pandemiezeiten eine ganz neue Bedeutung. Ein kleines Gedankenkarussel zum Thema Mode, die Jogger und Nachhaltigkeit.

Kleidung ist Ausdruck. Sie zeigt, wer wir sind, wie wir uns fühlen und wofür wir stehen. Wir fühlen uns besser, wenn wir im Lieblingspulli in der Vorlesung sitzen oder zur Semesterauftaktparty in den Feier-Sneakern tanzen. Und sich nach einer stressigen Prüfungsphase mit Shoppen zu belohnen, löst bekanntlich Glücksgefühle aus.

Eigentlich.

Denn wozu shoppen, wenn es keine Mensa-Party, keine Kneipenabende oder Uni-Tage mehr gibt? Wenn alles, was wir brauchen, eine Jogginghose und ein paar Pullis zum drüber werfen sind?

Die Pandemie ist hart und das zu Hause Hocken nervt. Ohne Frage. Aber es zeigt auch, wie wenig Kleidung wir eigentlich brauchen und in was wir uns wirklich wohlfühlen. Denn niemand kommt im Home-Office auf die Idee: „So, heute ziehe ich mal die besonders unbequeme Jeans und die störrische Bluse an.“ Es kristallisieren sich die Kleidungsstücke heraus, die wir lieben und andere, welche wir ignorieren.

Eine Greenpeace-Studie von 2015 zeigt, dass jede:r Erwachsene im Schnitt 95 Kleidungsstücke besitzt (ohne Unterwäsche und Socken). Davon wird jedes fünfte Teil so gut wie nie getragen. Besonders Schuhe, Oberteile und Hosen fallen dem Wunsch nach neuer Kleidung zum Opfer und werden aussortiert. Der Großteil davon wird einfach weggeschmissen oder in anonyme Altkleiderspenden gegeben. Möglichkeiten des Tauschens, Verkaufens oder Verschenkens werden im Gegensatz dazu wenig genutzt.

Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass eine höhere Bildung und ein größeres Einkommen zu mehr Kleidung im Schrank führen. Wir versuchen, auf unsere Ernährung zu achten und Plastikmüll zu vermeiden, aber bei der Kleidung kommen die inneren Triebe durch. Der Rausch beim Shoppen ist zu groß.

Dabei ist das Glücksgefühl bei einem tollen Second-Hand-Schnapper mindestens genauso toll. Viele nutzten die Zeit in der Pandemie anscheinend zum Ausmisten, denn Onlineseiten zum Verkaufen ungenutzter Artikel boomen, wie die Studie des Digitalverbands Bitkom zeigt. Demnach verkaufen 72 Prozent der Deutschen mindestens einmal im Jahr Dinge online. Auch Kleidung wird über die Plattformen veräußert. Wiederverwenden anstatt Neu kaufen schont wertvolle Ressourcen und ermöglicht ein Shopping-Hoch ohne schlechtes Gewissen.

Denn dass die Bekleidungsindustrie eine große Belastung für die Umwelt darstellt und die sozialen Standards in den Produktionsländern ausnutzt, ist spätestens seit dem Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ in Bangladesch 2013 kein Geheimnis mehr. Die Kritik an den Kleidungsmarken war immens und ein Wandel zu fairen Bedingungen gefordert. Seitdem versuchen auch die großen Player im Modebusiness mit Kampagnen recycelter Textilien und Arbeitsschutzmaßnahmen ihr Image wiederherzustellen. Aber insbesondere der Anbau der Rohstoffe ist, wenn sich der Konsum nicht grundlegend verändert und verlangsamt, ein großes Problem der Textilindustrie. Diese umfasst neben der Produktion von Bekleidungs- und Heimtextilien auch die Herstellung von technischen Textilien, die beispielsweise in der Medizin oder im Baugewerbe benötigt werden.

Wie ein Bericht des Umweltbundesamts von 2019 zeigt, sind etwa 25 Prozent des weltweiten Insektizidmarktes und zehn Prozent des Pestizidmarktes auf den Baumwollanbau zurückzuführen. Der immense Wasserverbrauch für den Anbau der Fasern ist zum Beispiel für das Austrocknen des Aralsees verantwortlich. Für die Herstellung von chemischen Fasern werden wiederum Erdölreserven angegriffen und das anfallende Abwasser der Textilveredlung ist durch giftige Chemikalien extrem belastet.

Neben strengeren Standards und einer verpflichtenden Überprüfung der Produktions- sowie Anbaubedingungen für eine Entlastung der Umwelt – liegt es auch an uns, den Konsum neuer Textilprodukte zu verringern.

Spätestens nach den Wochen im Lockdown, kennen wir unsere Lieblingsteile. Wissen, welcher Pulli, welches Top und welche Hose uns hilft, wir selbst zu sein. Viele unserer Kleidungsstücke brauchen wir nicht. Stattdessen können sie über Second Hand Portale veräußert werden und jemand anderen glücklich machen. Und falls man selbst dringend eine Runde Frust-Shopping braucht: Das geht Second Hand mindestens genauso gut (und ist sowieso besser fürs Studentenbudget).

Ein kleiner Exkurs noch zur Jogginghose an sich, dem Star des heutigen Tages: Die Meinungen über sie sind gespalten. Für die einen ist sie das Kleidungsstück des Jahrhunderts und für andere ein Zeichen, die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben. Dass die Duden-Definition: „besonders beim Joggen getragene Hose“ längst nicht mehr der Realität entspricht, ist allerdings unstrittig. Viele (mich inbegriffen) haben sie noch nie in ihrem Leben zum Joggen getragen. Stattdessen zum Netflixen, Einkaufen oder in der Uni. Bei Stars und auf Laufstegen findet sie sich fancy kombiniert mit High-Heels und Blazer.

Die Jogginghose kann offensichtlich alles und seit der Pandemie ist ihr Wert noch einmal gestiegen. Es gibt die einen, die das „Waist-Up-dressing“ für sich entdeckt haben. Also die Zoom-taugliche Variante: oben gesellschaftsfähig und unten die ausgeleierte Jogger. Und es gibt die Menschen, bei denen färbt die implizierte Unproduktivität der Jogginghose sofort auf sie selbst ab. Sie ziehen sich jeden Morgen ihr komplettes „Arbeitsoutfit“ an, damit sie konzentrierter sind.

Erneut zeigt sich also: Kleidung beeinflusst uns. Sie ist wichtig für unser Wohlbefinden. Und sie wirkt auf jeden anders. Es ist völlig egal, was der Rest der Welt über dich und deine Jogginghose denkt, solange du es fühlst. Oder wenn du sie eben nicht fühlst, sie aus deinem Kleiderschrank verbannst – tauschst, verkaufst oder verschenkst. Hauptsache nicht wegschmeißen. Eine Runde ausmisten ist befreiend und hilft, sich selbst besser kennenzulernen. Zu wissen, was man selbst an sich mag, ist Stärke. Genau zu wissen, was man will, hilft außerdem, Fehlkäufe und sinnlose Shopping-Attacken zu vermeiden. Weniger Konsum ist wiederum besser für unsere Umwelt – WIN WIN!

(Erfunden wurde das legere Kleidungsstück übrigens in den 1920er Jahren wirklich – wen wunderts – fürs Sport machen. Émile Camuset war der Gründer eines französischen Sportartikelherstellers und verbesserte mit der Erfindung die Trainingsbedingungen für Sportler*innen)

Text: Mona Berner
Illustration: Annabel Fischer