Es gibt so viele Geschichten die erzÀhlt werden wollen
von Katha von SterniÂ
Bilder: Horizont-Redaktion
Der Horizont
Laut Wikipedia ist er âeine Linie, die den Himmel von der Erde abgrenztâ. Hmm. Ich bin nicht zufrieden. Irgendwie ist mir diese Beschreibung zu unromantisch, zu geometrisch, einfach zu wenig. Gerade wollte ich schreiben: âsie klingt ein bisschen nach Steinzeitâ, aber das stimmt eigentlich nicht. Vor nicht allzu langer Zeit haben sich die Menschen nĂ€mlich noch wilde Szenarien ausgedacht, die sich hinter diesem mysteriösen âAbgrundâ abspielen sollten. Vielleicht kommt es auch daher, dass wir in GesprĂ€chen ĂŒber Dinge, die ĂŒber das rein Sichtbare, AlltĂ€gliche und Routinierte hinausgehen gelegentlich von âHorizonterweiterungâ sprechen. Und auch so, wenn wir irgendwo die Aussicht genieĂen, wissen wir in den seltensten FĂ€llen, was genau sich am Horizont oder auch dahinter befindet. Das ist dann auch egal. Es ist irgendwie schön, dass er etwas Geheimnisvolles und UnergrĂŒndetes hat, wenn wir ihn einfach so betrachten.
Genau genommen spielt der Horizont selbst in unserem Alltag aber so gut wie keine Rolle mehr. Wir mĂŒssen keine Geschichten mehr ĂŒber ihn erfinden, weil er eigentlich kein Mysterium mehr fĂŒr uns darstellt, weil wir die âWahrheitâ easy googeln können. Generell können wir jederzeit ĂŒberall sein wo wir wollen und alles wissen was wir wollen. Rein praktisch gesehen endet unser Horizont dann aber schon auf dem Bildschirm unseres Laptops, Tablets oder Smartphones. Aber wie weit schauen wir dann wirklich?
Das Magazin, das wir hier vorstellen möchten, erzĂ€hlt die Geschichten geflĂŒchteter Menschen, von ihrem Leben in Chemnitz, ihren TrĂ€umen, Ăngsten und WĂŒnschen. Ihre Geschichten beginnen meist dort, wo unser Horizont aufhört. Und unser Horizont ist oft ihre einzige Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit.
Dave ist einer der Hauptinitiatoren des Projekts.Er selbst hat vorher drei Jahre beim SĂ€chsischen FlĂŒchtlingsrat gearbeitet. Dort hat er GeflĂŒchtete zu Asylverfahren beraten und ihnen beim Umgang mit der deutschen BĂŒrokratie geholfen. WĂ€hrend der Arbeit hatte er oft wenig Zeit, um lĂ€nger mit den Menschen ins GesprĂ€ch zu kommen. Er merkte jedoch schnell, dass da so viele Lebensgeschichten sind, die erzĂ€hlt werden wollen und dass es eine Plattform braucht, um diese Geschichten nach auĂen zu tragen. Echt, emotional und ungefiltert. Und dann war da auf einmal diese Ausschreibung.  Das Fortbildungszentrums Chemnitz suchte Anfang des Jahres einen Projektleiter, um eine âFlĂŒchtlingszeitungâ ins Leben zu rufen. Dort fanden Daves Ideen fruchtbaren Boden und das Horizont-Magazin stand in den Startlöchern. Zusammen mit Frau Ergieg arbeitet er seitdem mit viel Liebe und Einsatz an dem Projekt. Frau Ergieg war selbst mehrere Jahre als Chefredakteurin in Tripolis (Libyen) tĂ€tig. Dort schrieb sie in ihrer wöchentlichen Rubrik âsafirat anzarâ (arab. â deutsch: Warnhinweis) ĂŒber jegliche Formen der Korruption. Dazu erhielt sie Einblick in GefĂ€ngnisakten und sprach mit Inhaftierten ĂŒber deren Geschichte und die VerhĂ€ltnisse im GefĂ€ngnis. Wegen ihrer Arbeit wurde Frau Ergieg in ihrer Heimat zu Tode verurteilt und floh nach Deutschland.
Wie genau entstehen die Artikel?
Einige der Menschen, die Dave Ihre Geschichte erzĂ€hlen, kannte er noch persönlich von seiner vorherigen Arbeit. Mit der steigenden Bekanntheit des Magazins erreichen Ihn aber mittlerweile auch viele Geschichten ĂŒber soziale Medien und Mails.
Die Texte entstehen dann meist in Gemeinschaftsarbeit, dabei spielt es keine Rolle, ob man schon Erfahrung im Schreiben hat, oder nicht. âEs gibt immer so viel Zeit wie es braucht um den Artikel so fertig zu stellen, dass alle Mitwirkenden zufrieden sind. Bei Horizont kann jeder seine Geschichte erzĂ€hlen, egal welche Sprachkenntnisse er hat. Wenn die Kommunikation schwierig wird, gibt es Sprachmittler die ihm zur Seite stehen und zur Not tun es auch ein paar Skizzenâ erklĂ€rt Dave.
Ăber Ziele, WĂŒnsche und Visionen.
Bisher liegt der Fokus inhaltlich auf Geschichten aus den HeimatlandĂ€ndern der GeflĂŒchteten. Das Magazin greift aber zunehmend auch tagespolitische Themen auf â reflektiert aus der Perspektive der GeflĂŒchteten. ZukĂŒnftig soll dabei auch die diesbezĂŒglich in Verruf geratene sĂ€chsische Provinz mit einbezogen werden. Auch dort gibt es positive Beispiele, wo die soziale Integration von GeflĂŒchteten sehr gut funktioniert. Weitere Artikel des Magazins klĂ€ren ĂŒber die politische Lage in aktuellen Kriegs- und Krisengebieten auf und erlĂ€utern wichtige GesetzesĂ€nderungen. AuĂerdem wird ĂŒber lokale Veranstaltungsangebote und Sprachkurse informiert.âEin zentrales Ziel des Magazins ist es, die Menschen zu bestĂ€rken. Beispielsweise haben wir sehr positives Feedback von einer Frauengruppe aus dem Projekt âSonnenscheinâ von der Diakonie bekommen. Diese Frauen haben sich von den patriarchalischen Systemen ihrer Heimat losgemacht. Sie machen nun Kunst in allen möglichen Formen und sind sehr kreativ und unabhĂ€ngig von ihren MĂ€nnern. Diese Frauen sind voller Selbstvertrauen, weil sie gehört werden â das ermutigt sieâ erzĂ€hlt Dave. Das Projekt verfolgt auch das Ziel, den Frauen Deutschkenntnisse zu vermitteln, denn nur so können sie sich selbststĂ€ndig orientieren, Kontakte knĂŒpfen und bĂŒrokratische HĂŒrden eigenstĂ€ndig erledigen. Ein Problem, das jedoch viele der Frauen haben, ist dass sie keine KindergĂ€rtenplĂ€tze fĂŒr ihre Kinder finden und deshalb nicht an Integrationskursen teilnehmen können. Aisha erzĂ€hlt in einem Artikel der ersten Ausgabe von Horizont, dass sie bereits zwei Jahre nach einem Platz fĂŒr Ihre Kinder gesucht hat. Somit wird auch fĂŒr die Kinder die Möglichkeit erschwert Deutsch zu lernen und damit sozialen Anschluss zu finden.
Wie wird das Magazin in der Gegend angenommen?
Bisher wird das Magazin durchweg positiv angenommen. Ziel des Projekts ist es, bald ein eigenstĂ€ndiges Magazin von GeflĂŒchteten fĂŒr Alle zu schaffen. DafĂŒr sind natĂŒrlich immer kreative Köpfe gesucht! â Wenn ihr SpaĂ am Schreiben habt, euch grafisch betĂ€tigen wollt, oder eine persönliche Geschichte erzĂ€hlen möchtet â schreibt uns und wir leiten es weiter.
Das Horizont-Magazin ist kostenlos und erscheint monatlich. Ihr findet es in zahlreichen sozialen Einrichtungen, CafĂ©s, GeschĂ€ften und Bars in der Stadt. Haltet mal Ausschau, Chemnitz ist neben Berlin und MĂŒnchen die einzige Stadt, in der es ein solches Magazin gibt!
Unseren Horizont können wir jederzeit selbst bestimmen…
…und wenn wir mal eine Pause brauchen von den aufregenden Geschichten der Welt, können wir einfach in den Himmel schauen â denn dort gibt es keinen Horizont, zumindest noch nicht. đ
